Die Angst des wei�en Mannes
der Tat rühmte, die USA als »zahnloses Monstrum« verhöhnte und seine Hinrichtung geradezu herausforderte. Es gehen aber auch ganz andere Gerüchte um. Indonesische Offiziere, die sich der religiösen Fanatiker als Werkzeug bedienten, hätten das Blutbad hochprofessionell organisiert, um Rache zu nehmen, um die Australier zu stra fen fürdie Schmach, die die Regierung von Canberra der indonesischen Armee bei der Unabhängigkeitsproklamation Ost-Timors zugefügt hatte.
*
Mein erster Bali-Aufenthalt geht auf den Sommer 1954 zurück. Da mals – vor einem halben Jahrhundert – fühlte ich mich in eine wahr haft paradiesische Umgebung versetzt. Von Ausländern war die Insel verschont. In jedem Dorf, das ich durchquerte, fanden irgend welche religiösen Feierlichkeiten statt, entfaltete sich kultische Pracht. Bronzefarbene, schöne Menschen in schillernder Gewan dung huldigten mit erstarrten Mienen ihren zahllosen Gottheiten.
Unterkunft fand ich in jenen Tagen bei einem weißhaarigen hol ländischen Maler, der auf wundersame Weise die japanische Besat zung und die indonesische Staatswerdung überlebt hatte, indem er den lokalen Lebensstil, soweit das ging, übernommen hatte. Er leichtert wurde ihm diese Anpassung durch das Zusammenleben mit zwei einheimischen Frauen, exotische Märchengestalten, die ihre wohlgeformten Brüste noch nicht verhüllten, wie das später von den Javanern geboten wurde, und deren rabenschwarze Haar pracht, mit Blüten geziert, bis zum Gesäß herabfiel. Bei ihrem An blick konnte man Verständnis aufbringen für die ersten Europäer, die Matrosen des Kapitäns Cornelius Houtman, der diese Wunder insel im Jahr 1597 entdeckte, die sich dort niederließen und sich weigerten, die Heimfahrt in ihre prüde, neblige Heimat anzutreten.
Eine Begegnung hatte sich mir damals besonders eingeprägt. Am Strand von Kusamba war ich ohne jede Begleitung in die lauwarme Brandung getaucht, als sich unter Anleitung weiß gekleideter Brahmanen eine Prozession von etwa hundert Pilgern dem Meer näherte, ein Bild ungetrübter Schönheit und Würde. Die Menschen schimmerten in Gewändern aus Gold, Smaragdgrün und Purpur. Am eindrucksvollsten waren die weihevollen Gesichter, die in Erz gegossen schienen. Auf kunstvoll geschnitzten Sänften und Thronen transportierten sie ihre Götter aus Lavagestein, die in bizarre Sarongs gehüllt waren. Die fromme Truppe nahm keine Notiz von mir.Ein Tempelwächter gab mir den Wink, mich auf Distanz zu halten. So wurde ich einsamer Zeuge des rituellen Bades der Götter in den Fluten des Indischen Ozeans.
Vielleicht hatte mich die Unberührtheit dieser Fluchtstätte des hinduistischen Pantheons, das sich unserer monotheistisch gepräg ten Mentalität so unnahbar und unerklärlich entzieht, in jenem Sommer 1954 besonders wohltuend, mit heilsamer Zauberkraft umfangen, weil ich noch wenige Tage zuvor in der feuerspeienden Reisebene von Tonking, im umkämpften Dreieck des Roten Flus ses, den endgültigen Zusammenbruch der französischen Kolonial herrschaft in Indochina aus unmittelbarer Nähe miterlebt hatte. Die Kapitulation einer Armee, der ich einst selbst angehört hatte, übte auf mich – obwohl ich das nicht eingestehen wollte – eine traumatische Belastung aus.
Da wirkte der Zauber von Bali, wohin ich über Saigon, Singapur und Jakarta in hastigen Etappen aufgebrochen war, wie die wohl tuende Entrückung in ein imaginäres Nirwana. In Wirklichkeit war mir bewußt, daß auf dem asiatischen Festland – jenseits von Insu linde, das noch in den spielerischen Wohlklang seiner Gamelan-Musik eingehüllt schien – ein ungeheuerlicher Umbruch stattfand, dessen Höhepunkt längst nicht erreicht war. Im ostasiatisch-pazi fischen Raum dröhnten die Paukenschläge der maoistischen Revo lution und die grollende Hymne »Der Osten ist rot!«
Vietnamesische Fieberträume
Bali, im März 1975
Im März 1975 hatte Bali seine Unschuld verloren. Das lag nicht nur am blühenden Geschäft mit den Urlaubern aus Australien, USA und Europa, die im Umkreis von eilig gebauten Hotelkästen der damaligen Luxusklasse die verträumten Strände in Tummelplätze lärmenden Vergnügens verwandelten. Bis ins Landesinnere, wodie kunstvoll geschwungenen Terrassen der Reisfelder den Souvenirphotographen weiterhin herrliche Motive boten, hatten sich die Schuppen des westlichen Fastfood am Rande der Tempelanlagen eingenistet. Die Heiligtümer selbst wurden durch die gedrängte Zahl grell kostümierter
Weitere Kostenlose Bücher