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Die Angst des wei�en Mannes

Titel: Die Angst des wei�en Mannes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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im Dunkel blieben. Als Regierungschef wurde er zum Rücktritt gezwungen. Bei der Volksbefragung von 2007 behauptete sich zwar die FRETILIN weiterhin als stärkste Fraktion im Parla ment, wurde jedoch von jeder Regierungsbeteiligung ausgeschlos sen. Seitdem prozessiert er unermüdlich gegen einen angeblichen Wahlbetrug und die flagrante Verletzung der Verfassung. Aus sei ner Abneigung gegen das erdrückende amerikanisch-australische Protektorat macht er kein Geheimnis.
    In diesem Sinne äußert er sich auch, während ich ihm gegenübersitze. Irgendwie kommt mir sein Typus vertraut vor. Sein umsichtiges, würdiges Auftreten erinnert an den katholischen Bischof Belo, dem er allerdings eine konservative Grundhaltung vorhält. Der Ex Premierministerträgt ein rundes weißes Käppchen auf dem grauen Haar, und wie es sich für einen Korangläubigen geziemt, hat er sich einen spärlichen Bart wachsen lassen. Seine Art zu argumentieren und seine höfliche Zurückhaltung gegenüber einem Andersgläubigen reiht sein Verhalten in die Reihe jener »Ulama«, jener Korangelehrten ein, denen ich im Laufe langer Jahrzehnte im ganzen Dar-ul-Islam immer wieder begegnet bin.
    In den Augen Alkatiris verfügt die Republik Timor-Leste nicht einmal über den Schein echter Souveränität und bewegt sich am Rande des Abgrundes. Die jüngsten Gewaltakte bestätigen seine Auffassung. Er ist sich selbst bewußt, daß die Volksrepublik China, die in alle Himmelsrichtungen expandiert und Einfluß gewinnt, noch längst nicht in der Lage ist, das Übergewicht Australiens und der mit ihm verbündeten USA zu neutralisieren.
    Der Versuch Portugals, in Dili wieder Fuß zu fassen, werde zwar von dem amtierenden Präsidenten der Europäischen Kommission, Manuel Barroso, lebhaft unterstützt, reduziere sich am Ende jedoch auf eine Trotzreaktion. Der verdienstvolle General de Spinola, der entscheidend an der Nelkenrevolution der Offiziere von Lissabon mitgewirkt hatte, sei nun einmal kein Charles de Gaulle. Noch viel weniger hält er von dem Versuch einiger kubanischer Lehrer und Ärzte, in Ost-Timor revolutionäre Solidarität zu praktizieren.
    Ob mit einem Putsch der im Aufbau befindlichen Armee der jun gen Republik zu rechnen sei, frage ich den »Alim« aus Hadramaut. Aber der winkt ab. Die paar Bataillone, die unter dem Befehl eines Brigadegenerals aufgestellt würden, seien Ausbildern aus aller Her ren Länder ausgeliefert und ebensowenig für einen koordinierten Einsatz tauglich wie die notorisch korrupte Polizei. Die nächsten blutigen Unruhen seien bereits vorprogrammiert, aber dabei wür den nicht irgendwelche offiziellen Staatsorgane den Ausschlag ge ben, sondern die ererbten Spannungen zwischen den Stämmen. »Dieser Tribalismus entzieht sich dem Verständnis des Westens«, lächelt Alkatiri.
    Schonungslose Kritik übt er an den Machenschaften der Vereinten Nationen. Der Internationale Währungsfonds, der in Ostasien bereitssoviel Unheil angerichtet habe, klammere sich auch in Dili an die Dogmatik eines hemmungslosen Wirtschaftsliberalismus. Die Präsenz der Blauhelme habe andererseits Timor-Leste gezwungen, eine groteske Form des Westminster-Parlamentarismus nachzuahmen. Dann solle man sich nicht wundern, wenn der profunde politische Disput nicht auf den Bänken des Parlaments, sondern mit scharfer Munition in irgendeinem Dschungelrevier ausgetragen werde.
    Alkatiri ist sich der verlorenen Randposition seines Ministaates voll bewußt. Er weiß, daß es bei der »Befreiung« Timor-Lestes vom indonesischen Joch vorrangig um den Besitz der vorgelagerten Erdöl- und Erdgasvorkommen ging, um die Interessen der großen Energiekonzerne. Dabei fragt er sich, ob die Regierung von Can berra sich nicht bewußt sei, daß Indonesien – als sie die Preisgabe seiner 27. Provinz erzwang – auf unerträgliche Weise herausgefor dert wurde. Der Nationalismus, der empfindliche Stolz dieser jun gen Nation sei durch die Militärintervention, die unter dem Fir menzeichen der Vereinten Nationen stattfand, zutiefst verletzt worden.
    Die Befürchtung, daß das gewaltige Inselreich, das zusehends strategisches und wirtschaftliches Gewicht gewinnt, demnächst in eine radikale, intolerante Form des Islamismus abgleiten, dem »Jihadismus« massiven Zulauf verschaffen könne, teilt Alkatiri jedoch nicht. Auch wenn der westliche Kapitalismus dazu neige, sei ner Habgier, dem hemmungslosen Erwerb des »schwarzen Gol des« den Vorrang einzuräumen vor den elementaren Geboten

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