Die Angst des wei�en Mannes
wachsenen Teich und dessen Goldfische bewachen und täglich mit frischen, feuerroten Blumen geschmückt werden. Vom breiten Bett schweift der Blick in die kunstvoll gestaltete Höhe des konisch zu laufenden Daches.
Jenseits der Terrasse rauscht die Brandungsdüne des Indischen Ozeans, in dessen salzigem Schaum ich das Gefühl maritimer Unendlichkeit suche. Die Gäste sind selten. Sie meiden nicht nur die Regenzeit,die sich im März auf eine intensive Dusche von höchstens zwei Stunden Dauer beschränkt. Für die amerikanischen Touristen wirkt sich die Schwäche des Dollars negativ aus, und die Australier trauen dieser trügerischen Idylle nicht so recht, seit am
12. Oktober 2002 in dem vulgären Vergnügungsviertel Kuta die Bomben der Terroristen ein furchtbares Massaker anrichteten.
Sogar die weiterhin einflußreichen Brahmanen von Bali geben zu, daß sich in ihrer religiösen Gemeinschaft ein tiefgreifender Wan del, eine Anpassung an die Moderne vollzieht. Die Feuerbestattung des Oberhaupts der Königsfamilie von Ubud, die wie ein gewalti ges Volksfest zelebriert wurde, sei wohl ein letzter grandioser Hö hepunkt und würde sich in diesem Glanz nie wiederholen.
Tausende junge Männer in blutroter Kleidung umgaben den Leichnam ihres Fürsten, der auf einem gigantischen Turm von elf Tonnen Gewicht zum Ort seiner mystischen Erlösung vom Dies seits und seines Eingangs in eine neue Existenz gewuchtet wurde. In Ubud, das vierzig Kilometer vom Verwaltungszentrum Denpa sar gelegen ist, löste diese »Cremation« eine ausgelassene Stim mung aus. Das festlich gekleidete Volk umringte den gewaltigen Holzstier, in den der Tote gebettet war, ehe er in einem lodernden Flammenmeer aufleuchtete und langsam verglühte.
Mit einer solch spektakulären Veranstaltung kann unser Hotel natürlich nicht konkurrieren, wenn es zur abendlichen Vorführung eines balinesischen Balletts zum Klang des Gamelan einlädt und die Ramayana-Legende wiederauferstehen läßt. Immerhin bemüht man sich dabei um Wahrung der Authentizität und vermeidet Zu geständnisse an westliche Trivialisierung. Die zierlichen, kindlich anmutenden Tänzerinnen, von der Hüfte abwärts in goldenes Bro kat geschnürt, bewegen sich in hieratisch abgezirkelten Trippel schritten. Ihre gespreizten Finger und das erstarrte Pupillenspiel drücken ferne, sagenhafte Erlebnisse aus.
Einen Ausflug trete ich dennoch an. Ich lasse mich in das nahe Amüsierviertel von Kuta fahren, das vor der Katastrophe den zweifelhaften Ruf eines australischen »Ballermanns« genoß. Es muß extrem trinkfreudig und ordinär zugegangen sein in den Bars, Clubs und Discosdieses lästerlichen, durch riesige Reklameschilder verunstalteten Sündenbabel, wo einheimischen männlichen Gästen, im Gegensatz zur lokalen Weiblichkeit, der Zutritt oft durch muskulöse Türwächter verwehrt war.
Inzwischen ist von den Verwüstungen, die durch gewaltige Explo sionen verursacht wurden, keine Spur mehr zu sehen. Die erste Bombe, die vor Paddy’s Bar hochging und relativ geringe Verluste verursachte, diente wohl dazu, eine Masse von Schaulustigen anzu ziehen. Wenig später entzündete sich im Sari Club ein gigantischer Feuerball, der mehr als zweihundert Urlauber in den Tod riß.
Die anspruchslosen Tanzschuppen sind schnell restauriert wor den. Eine weiße Marmorplatte verzeichnet die Namen der Opfer, darunter eine Anzahl Deutsche, soweit diese identifiziert werden konnten. Gemessen am würdigen, farbenprächtigen Zeremoniell, mit dem die Angehörigen der hohen Kasten auf Bali dem Scheiter haufen übergeben werden, ist diese Tafel eine sehr bescheidene Eh rung. Drei Jahre später sollten sich ähnliche Attentate geringeren Ausmaßes in Kuta und Jimbaran wiederholen.
Bis auf den heutigen Tag ist die Urheberschaft dieser gezielten Mordaktionen umstritten. Hatten einheimische Balinesen an der brutalen Überfremdung, an der Mißachtung ihrer gesellschaftlichen Ordnung durch die barbarischen Fremden Anstoß genommen? Oder war es die auf Java stark vertretene islamistische Bewegung »Jemaah Islamiyah«, die dem sündhaften Treiben der Ungläubigen mit einem gnadenlosen Schlag ein Ende setzen wollte? Natürlich wurde auch der Name El Qaida ins Spiel gebracht.
Dutzende von Verdächtigen mußten sich vor den Gerichten von Jakarta verantworten. Die meisten Urteile fielen erstaunlich milde aus. In Erinnerung bleibt von diesem Prozeß vor allem das irre, aufreizende Grinsen eines jugendlichen Terroristen, der sich
Weitere Kostenlose Bücher