Die Angst des wei�en Mannes
Feriengäste entweiht, denen ein weithin sichtbares Plakat in englischer Sprache einschärfte, daß Frauen, die sich in der Phase ihrer Menstruation befanden, kein Zutritt gestattet sei. Immerhin wurde auf medizinische Überprüfung dieser Vorschrift verzichtet.
Inzwischen hatte sich eine abscheuliche Tragödie auf Bali ab gespielt. Als im Jahr 1965 die indonesische Armeeführung unter Ge neral Suharto putschte und den Massenmord an Hunderttausenden von Kommunisten und deren Sympathisanten befahl, verfiel auch Bali, das so friedlich und harmlos wirkte, in einen blutigen Rausch, in eine wüste Raserei. Es fanden grauenhafte Massaker unter den an geblichen Staatsfeinden statt. Die offizielle Zahl von dreißigtausend Toten dürfte keineswegs übertrieben sein. Die Todesgöttin Kali hatte auf der Insel die Herrschaft an sich gerissen, und Gott Shiva führte seinen Tanz als großer kosmischer Vernichter auf.
Dieser Amoklauf, dieser Ausbruch hemmungsloser Gewalt bei einem Volk, das den Ruf lächelnden Sanftmuts genoß, entsprach wohl einer heimlichen Veranlagung, die ihre Vorgeschichte hatte. Als die Holländer 1906 die Insel unter ihre direkte Verwaltung stell ten, stießen sie auf den verbissenen Widerstand der herrschenden Rajahs und ihrer Getreuen. 4000 balinesische Krieger zogen den kollektiven Suizid, »Puputan« genannt, und dem Sepuku oder Ha rakiri der Japaner verwandt, der Unterjochung durch fremde Ko lonialherren vor.
Auch mein Aufenthalt auf Bali in diesem Frühjahr 1975 war von einem düsteren Fatum überschattet. Die amerikanische Niederlage in Vietnam stand unmittelbar bevor. Um meine Gesundheit war es nicht gut bestellt am Ende einer monatelangen Erkundungsreise, die mich nach Vietnam und Kambodscha, aber auch nach Neugui nea, Australien und Neuseeland geführt hatte. Die Virusinfektion, die mir zusetzte, hatte ich mir wohl in Neuguinea zugezogen.
Anjenem Abend im März 1975 lag ich im Sessel des Hotelgar tens, schluckte die Pillen, die mir ein indischer Arzt verschrieben hatte, wischte mir den Schweiß von Stirn und Nacken. Auch in der ernüchternden Atmosphäre dieser Massenherberge für Touristen wurden die Gäste bei Einbruch der Nacht mit einer auf westlichen Geschmack ausgerichteten Ballettvorführung unterhalten. Zwi schen Bali und dem Königreich Kambodscha, über dessen Un tergang ich unlängst noch berichtet hatte, bestand eine seltsame historische Verwandtschaft. Die ostjavanischen Rajahs der hindui stischen Seefahrer-Reiche Srivijaya und Madjapahit hatten im fünf zehnten Jahrhundert auf Bali eine letzte Trutzburg ihrer Religion gegen die schier unwiderstehliche islamische Bekehrungswelle ge funden. Sie gehörten dem gleichen Kulturkreis an wie die Herr scher jenes Khmer-Reiches, die im dreizehnten und vierzehnten Jahrhundert ganz Hinterindien unterworfen hatten und deren gi gantische Tempelanlagen heute noch den Dschungel überragen.
In meinem Fieberanfall fühlte ich mich plötzlich nach Siemreap versetzt, wo die nächtlichen Tempeltänze der Aspar mit den Dar bietungen ihrer balinesischen Schwestern verschmolzen. Zehn Jahre waren seitdem vergangen. Am Ende einer einzigen Dekade war die wohlwollende Despotie des Prinzen Sihanouk, der von seinen ergebenen und sorglosen Untertanen als Reinkarnation Krishnas verehrt wurde, durch die höllischen Mordbanden der Roten Khmer verdrängt worden. Die fruchtbaren Reisfelder des Tonle Sap ver wandelten sich alsbald in bluttriefende »Killing Fields«, wo die fa natischen Vollstrecker einer absurden Revolution ihr utopisches Gleichheitsregime auf einem Altar von Schädeln errichteten.
Die Gong- und Zimbelschläge des Gamelan-Orchesters dröhnten wie Hammerschläge in meinem fiebrigen Kopf. Die Tänzerinnen nahm ich durch einen roten Schleier wahr. Der Hotelarzt hatte sich mir genähert, um mir mitzuteilen, daß der kambodschanische Marschall Lon Nol, der als Satrap der Amerikaner und auf Betreiben Henry Kissingers den neutralistischen Prinzen Sihanouk gestürzt hatte, nach seiner Flucht aus Phnom Penh in Bali eingetroffen sei. Präsident Suharto von Indonesien, der sich der kulturellen Affinitätzum Land der Khmer bewußt war, hatte Lon Nol die letzte hinduistische Insel seines überwiegend islamisierten Sunda-Archipels als vorübergehendes Asyl angeboten. Ich war viel zu schlapp und müde, um auch nur zu versuchen, mit dem »Großen Schwarzen«, wie der Marschall bei seinen Landsleuten hieß, Kontakt aufzunehmen.
Zwei Monate zuvor hatte ich Phnom
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