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Die Angst des wei�en Mannes

Titel: Die Angst des wei�en Mannes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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Penh einen Abschiedsbe such abgestattet. Es war fast schon ein Gang ins Leichenhaus. Die Maschine von Air Cambodge, die wir in Bangkok gebucht hatten, landete wie im Sturzflug in Pochentong, um dem Feuer der Be lagerer zu entgehen. Die Hauptstadt war von allen Seiten stran guliert. Das Ende war nahe. Die »Roten Khmer« hatten sich des Knicks von Neak-Luong bemächtigt. Kein Konvoi gelangte mehr über den Mekong nach Phnom Penh. Im Hafen stauten sich die nutzlosen Frachtkähne. Sie waren mit hohem Drahtgeflecht ver sehen, an denen die Raketen der Belagerer vorzeitig explodieren sollten. Krankenhäuser und Schulen waren mit stöhnenden Ver wundeten überfüllt, deren Blut über die Kacheln der Gänge und über die Treppen floß. Im unfertigen Betonbau eines Kolossalhotels, das Sihanouk noch hatte errichten wollen, drängten sich Tausende von Flüchtlingen um die Reisküchen internationaler Hilfsorgani sationen. Der Swimmingpool stank nach Kot und Urin. Dennoch planschten dort nackte, braune Kinder.
    Das amerikanische State Department hatte einen seiner besten Experten, John Gunther Dean, nach Phnom Penh geschickt. Er kam als Nachlaßverwalter. Dean, der in Berlin unter einem ganz an deren Namen geboren war, galt als Spezialist für verzweifelte Kom promißlösungen. Er war in Vientiane maßgeblich am Zustande kommen jenes Laos-Abkommens beteiligt, das zwar in absehbarer Frist zur Machtergreifung der kommunistischen Pathet Lao über leiten würde, dem Land der Millionen Elefanten aber immerhin das Ende des Blutvergießens bescherte.
    In Phnom Penh war es für solche Balanceakte viel zu spät. In den letzten Märztagen war es John Gunther Dean doch noch gelungen, Marschall Lon Nol zur Flucht ins Ausland zu überreden. Das war seinletzter Scheinerfolg. Siebzehn Tage später sollte Phnom Penh vor den wilden Horden der Roten Wiedertäufer, der Steinzeit-Kommunisten, wie man sie später nannte, vor den »Khmers Rouges« kapitulieren. Im Namen einer fernen, abendländischen Ideologie vom »Paradies der Werktätigen« und unter dem Vorwand der Menschheitsbefreiung stürzte Kambodscha in den Abgrund eines namenlosen Horrors.
    *
    Ein balinesischer Kellner räusperte sich neben mir. Er berührte mich am Arm. Ich fuhr aus meinem fiebrigen Dösen auf und saß ganz allein unter Palmen und übergroßen Sternen. Die Touristen waren schlafen gegangen, der Gamelan verstummt, die Tänzerin nen verschwunden. Ich schüttelte mich, um den wirren Gedanken zu entgehen, und schleppte mich in mein Zimmer. Die grell bemal ten Holzmasken, die dort an der Wand hingen, wirkten bedrük kend, fast fürchterlich. Im Bett ging der Reigen der Halluzinatio nen weiter.
    Ich bemerkte immerhin, daß der Zimmerboy ein Telegramm un ter die Zimmerschwelle schob. Es kam aus Jakarta, wo das Kamera team mit Dreharbeiten beschäftigt war. Mir wurde mitgeteilt, daß die vietnamesische Stadt Danang mit dem wichtigsten Militärflug platz in Südostasien am 29. März, also am Vortag, kampflos in die Hände der vorrückenden Nordvietnamesen gefallen war. Nicht nur in Kambodscha, auch in Vietnam war die fatale Wende eingetreten. Wieder packte mich der Schüttelfrost.
    In den ersten Januartagen hatte ich auf Wunsch der Redaktion einen Abstecher nach Saigon gemacht. In Ermangelung eines deutschen Teams hatte ich mit einer vietnamesischen Mannschaft gearbeitet. Damals war die Großoffensive Hanois noch nicht ins Rollen gekommen. Aber im kambodschanischen Grenzraum hatten sich die Nordvietnamesen wie aus heiterem Himmel der Ortschaft Phuoc Long bemächtigt. Phuoc Long war ein trostloses Nest am Rande des Dschungels, aber zum ersten Mal war es den Kommu nistengelungen, eine südvietnamesische Provinzhauptstadt zu erobern.
    Ich war mit einem vietnamesischen Team nach Tay Ninh gefah ren. In der Kathedrale der Caodaisten, einer synkretistischen Sekte Cochinchinas, traf ich nur ein halbes Dutzend rot und blau geklei dete Würdenträger dieser seltsamen Religion. Sie verneigten sich in Weihrauchschwaden vor dem mystischen Auge des Cao Dai und ließen sich von dem Ausländer nicht ansprechen.
    Die Stadt Tay Ninh war von ihren meisten Einwohnern verlassen. Die Nordvietnamesen schossen gelegentlich mit Granatwerfern auf den leeren Markt. Gegen heftigen Widerspruch gab ich unserem Chauffeur die Weisung, so nah wie möglich an die »Schwarze Jung frau« heranzufahren. Da ragte sie über uns, die »Black Virgin«, wie eine unheimliche Dschungelpyramide, und erdrückte die Reisebene

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