Die Angst des wei�en Mannes
Lein wandzauberte, schienen die düstere Wirklichkeit zu bestätigen. Ich selbst hatte auf den französischen Touomoutou-Inseln erlebt, daß die graziösen Vahine, die ihre goldbraunen Hüften in suggestiverem Rhythmus zu bewegen verstanden als jede orientalische Bauchtänzerin, nach Ende ihres Reigens in mißmutige Laune verfielen. Die Reizvollste unter ihnen benutzte dabei einen Ausdruck, den mir ein ortsansässiger Franzose erklärte. »J’ai le fou«, sagte die Schöne und meinte damit die Schwermut, die sie allzu oft überkam.
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Wie würde sich die politische Entwicklung Neuguineas gestalten? Die australischen Mandatsherren interessierten sich zwischen den beiden Weltkriegen nicht sonderlich für diese »Wilden« und tra ten nur zögerlich die Nachfolge der Berliner »Neuguinea-Com pagnie« an. Diese Mißachtung der Eingeborenen veränderte sich positiv, als die kräftigen Papua nach Landung der japanischen Truppen den »Aussies« als Scouts, als Träger für Nachschub und Abtransport der Verwundeten bereitwillig zur Seite standen. Of fenbar fühlten sich die stolzen Kriegerstämme des Hochlandes den weißen Australiern näher als den gelben, kleingewachsenen Solda ten des Tenno, die auch hier mit der üblichen Arroganz auftraten.
Während des Krieges entfaltete sich vor allem unter dem Einfluß der amerikanischen Truppenpräsenz bei den Papua ein eigenarti ger Aberglaube, der fast die Form einer Religion annahm. Der so genannte Cargo-Kult, als die US Air Force Tonnen von Waffen, Munition und Verpflegung über den Lichtungen des Urwalds ab warf, um die kämpfenden GIs und ihre australischen Verbündeten mit Lebensmitteln und Munition zu versorgen. All diese hochwer tigen Güter und Geräte, über deren Ursprung und Fabrikation die Steinzeitmenschen sich nicht die geringste Vorstellung machen konnten und die zudem an magisch glänzenden Fallschirmen vom Himmel schwebten, mußten aus einer anderen, besseren Welt stammen, waren von den mächtigen, toten Ahnen aus dem Jenseits zum Wohl ihrer Nachkommen entsandt worden.
Sehrbald äußerte sich bei den Stämmen der Verdacht, daß die Geschenke ihrer Vorfahren von den weißen Militärs und Kolonisa toren fehlgeleitet und ihren wahren Empfängern, nämlich den Ur einwohnern, betrügerisch vorenthalten würden. Der Cargo-Kult hat nach der Vertreibung der Japaner eine zusätzliche politische Di mension gewonnen. An ihm entzündete sich das erste Gespür, das erste Verlangen nach politischer Selbstbestimmung und staatlicher Unabhängigkeit.
Als sich eine Masse von 50 000 Kriegern im Umkreis von Mount Hagen zum großen »Sing Sing« versammelte und ihre dröhnenden Tanzrhythmen Feindschaft gegen die Weißen ankündigten, spürte man im fernen Canberra, daß sich der bisherige Kolonialstatus nicht länger aufrechterhalten ließ. Auf der Westhälfte der großen Insel forderten die Australier nunmehr den planmäßigen Übergang zur »Independence«, die Geburt eines neuen Staates, der unter dem Namen Papua-Neuguinea 42. Mitglied der Vereinten Nationen werden sollte.
Cantoterceiro
OZEANIEN
Das andere Ende der Welt
James Cook und die Maori
Keri-Keri (Neuseeland), im Februar 2008
»Die glücklichen Völker haben keine Geschichte«, sagt ein fran zösisches Sprichwort, »les peuples heureux n’ont pas d’histoire«. Auf den ersten Blick könnte sich diese Behauptung auf Neuseeland beziehen. Die menschliche Besiedlung Australiens reicht schät zungsweise 50 000 Jahre zurück, und auch in Amerika, das oft als Neue Welt dargestellt wird, verliert sich die Einwanderung asiati scher Völkerschaften, die sich aller Wahrscheinlichkeit über die da malige Landbrücke der Beringstraße vollzog und auf der Insel Feu erland im Vorfeld der Antarktis ihre extreme Ausdehnung fand, in der Nacht der Zeiten.
Für Neuseeland hingegen wird das Auftauchen der ersten Men schen, die Landung polynesischer Seefahrer, auf das Jahr Zwölf hundert unserer Zeitrechnung, also auf eine sehr nahe Vergangen heit zurückgeführt. Wenn Goethe von den Vereinigten Staaten aufgrund ihrer kurzen Historie schreiben konnte: »Amerika, du hast es besser«, wieviel mehr müßte dann die Gnade der späten Ge burt auf jene beiden Inseln im Südpazifik zutreffen, die an den An tipoden Europas gelegen sind und etwa den Ausmaßen Großbri tanniens entsprechen!
Vermutlichwaren die Insulaner, die sich Maori nannten und an Bord ihrer prächtig geschnitzten großen Kanus gewaltige ozeani sche Entfernungen
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