Die Angst des wei�en Mannes
Eingeborenen, in Wirklichkeit einen schamlosen Wahlbetrug, der ihnen jedoch er laubte, der Annexion durch Indonesien ihren Segen zu geben. Nie mand nahm Notiz vom verzweifelten Aufbegehren, von dem aus sichtslosen Widerstand der Papua gegen die übermächtige Armee des General Suharto, des neuen Militärdiktators von Jakarta.
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Zwischender Küste des ehemaligen Kaiser-Wilhelm-Landes und dem zerklüfteten, im Dschungel erstickenden Hochland des Inne ren gibt es wenig Gemeinsamkeit. Die Deutschen waren damals al lenfalls mit kleinen Forschertrupps bis Mount Hagen vorgedrun gen. Wir waren im Jahr 1966 auf eine kleine Propellermaschine angewiesen, um diesen isolierten australischen Verwaltungssitz zu erreichen. Die weiße Präsenz war in Mount Hagen auf ein paar Be amte beschränkt. Unsere Unterkunft war extrem bescheiden.
Neuguinea hatte zu jener Zeit noch seine wilde Ursprünglichkeit bewahrt, und die Eingeborenen traten uns ohne jede Scheu in pa radiesischer Nacktheit entgegen. Die Frauen trugen einen winzigen Lendenschurz, während die Männer sich in den abseits gelegenen Dörfern mit einem kuriosen phallischen Schmuck hervortaten. Sie trugen ihre Zeugungsorgane in oft grell bemalter Verpackung – »étui pénien« nennen es die Franzosen – in einer spitz zulaufenden Kürbisschale von oft fünfzig Zentimeter Länge, um eine überdimen sionale Erektion vorzutäuschen. Das mächtige schwarze Kraushaar, das den Schädel krönt, war mit bunt schillernden Vogelfedern des Urwaldes geschmückt. Dick aufgetragene Bemalung mit weißer Paste verlieh den athletisch gewachsenen Papua ein etwas gespens tisches Aussehen und sollte ihnen wohl magischen Schutz verleihen.
Im Gegensatz zu den Ureinwohnern Australiens, die über die Stufe von Sammlern und Jägern nie herausgekommen sind, hatten die Steinzeitmenschen von Neuguinea seit Tausenden von Jahren Landwirtschaft und Viehzucht entwickelt. Die ersten weißen Ent decker waren überrascht, bei den Kannibalen des Hochlandes ge pflegte Gartenanlagen und ein bescheidenes, ausgewogenes Exi stenzniveau vorzufinden. Die wesentliche Behinderung für ihre Weiterentwicklung bestand wohl in der Isolation durch abgrund tiefe Schluchten eines Gebirges, dessen höchster Gipfel fast die 4000-Meter-Grenze erreichte. So lebten sie in der Zersplitterung zahlloser Stämme und Clans, deren spärlicher Kontakt sich auf kriegerische Überfälle beschränkte.
Unserem Kamerateam begegneten diese muskulösen Gestalten, deren tiefschwarze Hautfarbe sich von dem dunkelgrauen Pigment derAborigines Australiens vorteilhaft unterschied, mit selbstbewußter Freundlichkeit. Ihr Interesse galt vor allem der Bierhalle in Mount Hagen, einer primitiven Konstruktion aus Zement, die mich an ähnliche Einrichtungen in Südrhodesien erinnerte, wo die Briten am Rande von Salisbury – das heute Harare heißt – den schwarzen Afrikanern erlaubten, das Bier aus Plastikeimern zu trinken.
Zu alkoholischen Exzessen schien es damals in Mount Hagen sel ten zu kommen. Irgendeine verlockende Kunde hatte sich bei der Ankunft unserer kleinen Mannschaft aus dem Land der ehemaligen Kolonialherren verbreitet. »Die Deutschen sind wieder da«, hieß es in den umliegenden Dörfern, »und jetzt wird in Mount Hagen das Bier von ihnen umsonst ausgeschenkt.« Diese frohe Botschaft hatte eine beachtliche Zahl nackter Krieger angezogen. Ihre Ge sichtszüge wirkten edel, irgendwie semitisch. Das Profil eines Häupt lings mit mächtigem, sorgsam gepflegtem Bart erinnerte mich an die Reliefs assyrischer Könige.
Wir konnten den Bierdurst dieser freundlichen Menschen nur unzureichend stillen, aber sie schienen froh, die Gelegenheit zu einer großen Gesprächsrunde, zum »Tok-Tok«, nutzen zu können. Am Abend ging ich mit dem Toningenieur Meurer auf einer roten La terit-Piste am Rande des Urwalds in der sinkenden Sonne spazieren. Jedesmal wenn uns eine der würdigen Gestalten im Adamskostüm begegnete, begrüßte er uns mit dem Spruch: »Good evening, Master.« Ein alter Mann, dessen Bart weiß schimmerte, trug dem Umstand Rechnung, daß er zwei Weißen begegnete, und drückte das mit den Worten aus: »Good evening, double Master.«
Zwischen Goroka und Mount Hagen wurden wir zu einer Hoch zeitsfeier eingeladen. Die Zahl der geschlachteten Schweine spielte eine entscheidende Rolle. Die Braut, fast nackt wie alle Mädchen im heiratsfähigen Alter, schmückte ihr Haar mit den Federn des Paradiesvogels. Die Ältesten hatten Platz
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