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Die Angst des wei�en Mannes

Titel: Die Angst des wei�en Mannes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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Rücken gekehrt. Über abenteuerliche Routen war er in diese ländliche Abgeschie denheit gelangt. Auf die Zucht von Schafen, die in Neuseeland mit vierzig Millionen Exemplaren zehnmal zahlreicher sind als die Menschen, hat er verzichtet. Statt dessen läßt er eine Herde von Rindern auf seiner weiten Domäne weiden und widmet sich der Zucht von Pferden, die er selbst zureitet.
    In den Jahren vor seiner Niederlassung bei Keri-Keri hatte Ro man zweimal in Begleitung seiner Frau auf lächerlich kleinen Boo ten von etwa zehn Meter Länge den Erdball umsegelt. Bis zu den Aleuten war er vorgestoßen. Über die großen Seen und den Missis sippi hatte er das nordamerikanische Herzland durchquert. Auf den Malediven war ihm von den dortigen Behörden die Kalaschnikow konfisziert worden, die ich ihm zur Abwehr von Piratenüberfällen bei guten Freunden im Libanon beschafft hatte. Vor der Küste von Taiwan wäre er beinahe in den Riesenwogen eines Taifuns ver schwunden, wenn ihm die nationalchinesische Kriegsmarine nicht rechtzeitig zu Hilfe geeilt wäre. Die Straße von Malacca war ihm ebenso vertraut wie der enge Durchlaß des Bab-el-Mandeb.
    Ursprünglich hatte ich seine Entscheidung, auf der nördlichen Hauptinsel Neuseelands eine neue Heimat zu suchen, mit väterlicher Skepsis zur Kenntnis genommen. Aber als ich jetzt nach einstündigem Flug von Auckland nach Keri-Keri und einer längeren Autofahrt auf seinem Anwesen eintreffe, wird mir verständlich, war um er dem eigenartigen Zauber dieser Landschaft verfiel. Von derHöhe des komfortablen Rundhauses, in dem er lebt, schweift der Blick über eine subtropische, menschenleere Landschaft von seltener Schönheit. Das üppige Grün wird immer wieder durch türkisschimmernde Meeresbuchten aufgehellt.
    Besonders eindrucksvoll prägt sich mir die bizarre Felsformation ein, eine phantastische Naturfestung mit weit vorgeschobenen, ku gelförmigen Gesteinsbrocken, die die Farm nach Norden hin ab schirmt. Die Maori, die jenseits dieser natürlichen Barriere leben, haben dort ihre Toten bestattet, verehren den Ort als Sanktuarium und wachen über sein »Tabu«. Die geographische Situierung Keri-Keris eignet sich vorzüglich, um Historie und Gegenwart des »Lan des der langen, weißen Wolken« zu deuten.
    Im Umkreis der Bay of Islands hatten die ersten Kontakte zwi schen Maori und Europäern stattgefunden. Die Begegnungen wa ren sehr unterschiedlicher Natur. Auf die wagemutigen Entdecker folgten im späten achtzehnten Jahrhundert Rotten von Walfängern und Robbenjägern, wilde, brutale Gesellen, die dem heute so bra ven Städtchen Russel mit ihrer Sauferei und Hurerei den Namen »Höllenloch des Pazifik« verschafften. So sahen es wenigstens die Missionare, die mehrheitlich der anglikanischen Kirche angehör ten und mit ihrer Frömmelei keinen Archipel des Stillen Ozeans verschonten. Zwischen Maori und Briten sollte es immer wieder zu blutigen Zusammenstößen kommen, aber die schlimmsten Massa ker richteten die Stämme dieser kriegerischen Rasse unter ihresglei chen an.
    Bei den polynesischen Seefahrern, die einst auf ihren tropischen Ursprungs-Atollen zu Müßigkeit und Trägheit neigten, stellte sich nach den unvorstellbaren Strapazen ihrer abenteuerlichen Suche nach Neuland und der schwierigen Eingewöhnung in ganz andere, härtere Lebensbedingungen im »Land der weißen Wolken« eine tiefgreifende, fast genetische Veränderung ein. Sie hatten ihre über lieferte Pflanzennahrung – überwiegend Süßkartoffeln und Yam – in die fremde Umgebung mitgebracht.
    Aber Neuseeland verfügte über keine vielfältige Fauna. Die Eindringlinge stießen auf eine wuchtige, flugunfähige Vogelart, »Moa« genannt,die bis zu zweihundertfünfzig Kilo wog und doppelt so groß war wie die uns vertrauten Strauße Südafrikas. Mit diesem Getier und den anfangs zahlreich vorhandenen Robben und Seelöwen füllten sie ihre Fleischtöpfe, bis sie diese Gattungen ausgerottet hatten und zur Beschaffung von proteinhaltiger Nahrung auf Waldvögel und Ratten angewiesen waren. Dazu gesellte sich als grausige Folge unaufhörlicher tribalistischer Fehden der Konsum von Menschenfleisch, das Verspeisen der erschlagenen Feinde, wie die meisten Ethnologen bestätigen.
    Die Maori sind von Grund auf anders als die mitleiderregenden Aborigines Australiens. Auch wenn sie weder Schrift noch Metall kannten, entwickelten sie eine gewalttätige Energie und Dynamik, die zumal in ihren wilden Tänzen bedrohlich zum Ausdruck

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