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Die Angst des wei�en Mannes

Titel: Die Angst des wei�en Mannes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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bewältigten, ganz zufällig an diese bislang un bekannte und menschenleere Küste gelangt. Ethnologen vermuten ihre ursprüngliche Heimat auf dem heute französischen Gesell schafts-Archipel im Umkreis von Tahiti und auf Samoa. Aus Grün den der Übervölkerung und mörderischer Stammeskämpfe waren die Maori zu dieser heroischen Expedition in Richtung Südwesten aufgebrochen und dort auf eine für sie ungewohnte, rauhe Klima zone gestoßen.
    Es waren wieder einmal die holländischen Navigatoren der Ostindien-Compagnie, die im Jahr 1642 das heutige Neuseeland, diese »Ultima Thule«, als erste Weiße sichteten und ihrer Entdeckung den Namen verliehen. Die Niederländer unter dem Kapitän Tas man waren jedoch auf einen so feindseligen Empfang durch die kriegerischen eingeborenen Stämme der Maori getroffen, daß sie den Kontakt mit den »Wilden« überstürzt abbrachen.
    Die wahre Entscheidung wurde zur Zeit der Aufklärung zwischen Briten und Franzosen ausgetragen. Diese weltweite Gegnerschaft des achtzehnten Jahrhunderts, als der Lilienthron riesige Teile Nordamerikas unter seinen Einfluß gebracht hatte, an den Küsten Indiens starke Positionen behauptete und auch im Pazifischen Ozean expandierte – einige beachtliche Territorien wie Neukaledo nien oder die Tuamotu-Inseln sind ja bis auf den heutigen Tag fran zösische Dependenzen –, endete unvermeidlich mit der britischen Überlegenheit zur See. Die dekadente französische Monarchie un ter Ludwig XV. war nicht in der Lage, ihren weltumspannenden Territorialerwerb in Übersee gegen die Flotte Albions zu behaup ten und gleichzeitig eine ganze Serie kontinentaleuropäischer Feld züge gegen das Haus Habsburg durchzustehen, die im Zeichen dy nastischer Erbfolge entbrannt waren.
    Immerhin war es der französische Kapitän Jean de Surville, der 1769 als erster Europäer – gefolgt von seinem Landsmann Marion du Fresne – in der nördlich gelegenen Bay of Islands Fuß faßte und zu den Maori ein entspanntes Verhältnis aufnahm. Die friedliche Koexistenzendete abrupt und grausam, als französische Matrosen – wahrscheinlich ohne es zu ahnen – ein »Tabu« des polynesischen Ahnenkultes und einen sakralen Opferaltar entweihten. Zwei Dut zend Untertanen des Bourbonenherrschers wurden von den Maori überwältigt und vermutlich zu einem Festschmaus aufbereitet.
    Zur gleichen Zeit tauchten unter dem Union Jack andere Kriegs schiffe vor den Stränden Neuseelands auf. Sie standen unter dem Be fehl jenes legendären Captain James Cook, der als unermüdlicher Entdecker der pazifischen Weiten zwischen den Aleuten im Norden und den antarktischen Eisbänken im Süden in die Geschichte einge gangen ist. Auch James Cook verlor zehn seiner Gefährten an die Ureinwohner. Sie erlitten ein ähnliches Schicksal wie die Franzosen. Doch der Brite hatte auf den übrigen Archipelen des Stillen Ozeans so intensive Erfahrungen im Umgang mit den Eingeborenen gesam melt, daß er für die kriegerischen Bewohner Neuseelands Verständ nis aufbrachte. »Obwohl sie Kannibalen sind«, schrieb er in sein Logbuch, »sind die Maori von der Natur ihres Charakters her gut.«
    Aus jenen Tagen stammt die lange Folge stürmischer Wechselbe ziehungen zwischen den Maori und den »Pakeha«, den »Anderen«, wie heute noch die Weißen mit einem leicht unfreundlichen Unter ton genannt werden. Es sollte sich erweisen, daß die Historie – mag sie auch noch so spät eingesetzt haben – für jeden Winkel unseres Erdballs, für jede seiner Populationen sich als Schicksalsgöttin wohlwollend oder grausam gebärdet. Die Würfel waren jedenfalls schon damals gefallen. Die Seeschlacht von Trafalgar, die der Flotte Napoleons zum Verhängnis wurde, bestätigte den herrischen An spruch: »Britannia, rule the waves«. Die Eingliederung Neusee lands in das Britische Empire war jetzt nur noch eine Frage der Zeit.
    *
    Meine erste persönliche Begegnung mit Neuseeland liegt ungefähr dreißig Jahre zurück. Vielleicht hatte ich die falsche Reiseroute gewählt, als ich mit dem Bus von Auckland nach Wellington aufbrach. Der Parcours erschien mir recht langweilig. Von den Maori bekamich in dieser durchaus britisch wirkenden Gras- und Weidelandschaft, die durch saubere weiße Cottages unterbrochen war, fast nichts zu sehen.
    Am Vorabend war ich im Hafenviertel von Auckland auf ein paar unfreundliche, ungepflegte Polynesier gestoßen. Das Gespräch mit ihnen kam nur zögerlich in Gang, und ehe ich erfuhr, was sie von mir

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