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Die Angst des wei�en Mannes

Titel: Die Angst des wei�en Mannes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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genommen, und ihre Aufmerksamkeit richtete sich weit intensiver auf die geschlachte ten Schweine, die der Bräutigam zu entrichten hatte, als auf die ein geschüchterte Braut mit den spitzen Brüsten.
    Bei dem Fest handelte es sich nicht nur um eine Vermählung, son dernauch um die Versöhnung von zwei Clans, die sich zehn Tage zuvor noch befehdet hatten. Wir hatten das Scharmützel zwischen den Stammeskriegern aus der Nähe betrachten können, ohne im geringsten belästigt zu werden. Sehr blutig waren diese Fehden nicht, bei denen es um Abgrenzung von Siedlungsgebieten, um Frauen, um Vieh und um Ehre ging. Die Männer stimmten dabei düstere und seltsam melodische Gesänge an. Im Kampf bemühte man sich, dem Gegner nur leichte Verwundungen beizubringen, ihn etwa mit dem Speer in die Wade zu treffen.
    Unter einer weit ausladenden Baumkrone wurden die mächtigen Körper von mindestens fünfzig geschlachteten Keilern wie zu einer Kultstätte übereinandergeschichtet. Das Schwein nahm im Leben der Papua eine ganz spezielle Rolle ein und galt fast soviel wie eine Frau. Ferkel wurden oft an der Brust der Weiber gesäugt, und die Männer führten besonders prächtige Tiere wie Hunde an der Leine. Das Schwein genoß geradezu mythisches Ansehen, erschien irgend wie menschenähnlich.
    Da die australischen Behörden den bislang weit verbreiteten Kannibalismus mit strengen Strafen ahndeten, erwiesen sich die Schweine als würdiger Ersatz für jedes Festmahl, das von magi schem Ritual umgeben war. Die Missionare berichteten von iso lierten Menschengruppen, die dem überlieferten Ahnenkult auf grauenhafte Weise huldigten. Sie stellten eine intime und dauer hafte Verbindung zu den verstorbenen Anverwandten her, indem sie deren Leichen oft schon im Zustand der Verwesung verspeis ten. Als Folge dieser Nekrophagie kam es nach einiger Zeit zu schrecklichen Krankheiten, die mit physischem und psychischem Verfall endeten.
    Wie sehr die Papua-Kultur in enger Verehrung ihrer toten Clanmitglieder lebt, wurde mir beim Ausflug an das schlammige Ufer des Sepik-Flusses auf seltsame Weise vermittelt. Hier waren wir weit entfernt von der klaren Luft und der feierlichen Stimmung des Hochlandes. Nur jene südwestliche Sumpfzone Neuguineas, die heute von Jakarta verwaltet wird, eine Gegend, die als »le ciel et la boue« beschrieben wurde, als unendliche, schlammige Ebene un tereinem bleigrauen, stets rieselnden Himmel, soll noch menschenfeindlicher sein. Ein Sproß der Rockefeller-Familie, der sich leichtsinnig dorthin vorgewagt hatte, war vor Jahren spurlos verschwunden, und die Frage blieb offen, ob er von den saurierähnlichen Salzkrokodilen oder von hungrigen Kannibalen aufgefressen wurde.
    Die Sepik-Gegend im ehemals deutschen Teil der Insel war ihrer seits bedrückend genug. Alles war dort verfault. Es wimmelte von Schlangen und widerlichen Insekten. Selbst die Fische waren voll von Würmern. Man fragte sich, wie die von vielerlei Krankheiten heimgesuchten Papua dort überleben konnten. Unter ihrer schwar zen Haut zeichneten sich die Spuren von Gewürm wie weiße Spi ralen ab. Die berüchtigten »Guinea worms« bohrten sich tief ins Fleisch und verschonten keinen.
    Die Menschen lebten im Schatten von furchtbaren Dämonen, die sie in kunstvollen, aber grauenerregenden Masken darzustellen wußten. Die schlimmste Plage waren die Moskitos. Bei Einbruch der Dunkelheit fielen die Insekten wie eine kompakte Mauer über jedes Lebewesen her. Wir hatten – rechtzeitig gewarnt – in der be scheidenen Behausung eines Missionars Zuflucht gefunden, der jede Öffnung mit engmaschigem Metallnetz gegen diese monströse Bedrohung abgedichtet hatte.
    Am Nachmittag entdeckten wir das geräumige Wohnzelt der be rühmten amerikanischen Ethnologin Margaret Mead, die sich an einer Biegung des braunen Flusses relativ komfortabel niedergelas sen hatte. Sie widmete sich dort ihren Studien in Begleitung ihrer Lebensgefährtin. Die alte Dame empfing uns mit großer Freund lichkeit, und erst nach meiner Rückkehr nach Europa sollte ich mit Bedauern erfahren, daß sie zur Zielscheibe heftiger Kritik ihrer Kollegen geworden sei. Sie habe von den Völkerschaften des Pazi fik ein allzu idyllisches, friedfertiges Bild entworfen.
    In Wirklichkeit hätten sich die Insulaner in Feindschaft und Mißtrauen gegenübergestanden und allem heiteren Anschein zum Trotz in Trübsal dahingelebt. Die trägen, beinahe plumpen Frauentypen, die der Maler Gauguin in herrlichen Farben auf die

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