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Die Angst des wei�en Mannes

Titel: Die Angst des wei�en Mannes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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Landschaft Bataviens.
    Selbst Java war zu jener Zeit längst nicht befriedet. Gegen die sä kulare Republik Sukarnos hatten sich muslimische Partisanengrup pen formiert, die vor allem den westlichen Teil der Insel verunsi cherten. Auf unserer Bahnreise von Jakarta nach Bandung, wo die Holländer sich in günstiger Höhenlage einst von der schwülen Hitze der Küste erholten, standen wir unter militärischem Schutz. Ein gepanzerter Waggon mit schweren Maschinengewehren war vor die Lokomotive gekoppelt worden, und eine ähnliche rollende Festung bildete das Ende unseres Konvois. Die muselmanischen Glaubenskämpfer hatten sich unter dem Namen »Dar-ul-Islam« zusammengeschlossen und standen teilweise unter dem Befehl eines ehemaligen Offiziers der niederländischen Kolonialarmee na mens Westerling, der zum koranischen Glauben übergetreten und wegen seiner Freude am Blutvergießen berüchtigt war.
    Bei der neuen Staatsdoktrin Indonesiens, »Pancasila« genannt, jenen fünf Prinzipien, die Sukarno entworfen hatte, handelte es sich um ein Gemisch von offizieller Toleranz und gebieterischer Staatsraison. Bemerkenswert war die Gleichstellung der fünf großen Religionen: des Islam, dem neunzig Prozent der Indonesier angehörten, des Buddhismus, des Hinduismus sowie der christlichen Konfessionen der Katholiken und Protestanten. Dazu gesellten sich dasBekenntnis zur Demokratie und das zwingende Gebot der nationalen Einheit, das jeden territorialen Verzicht, jede Form von Separatismus ausschloß und die Zugehörigkeit West-Neuguineas zur Republik von Jakarta kategorisch forderte.
    Aus diesem Programm, das zumindest in der Theorie eine reprä sentative Regierung und soziale Gerechtigkeit anmahnte, ging im merhin hervor, daß die Ideale der europäischen Aufklärung selbst in den vom Kolonialismus schonungslos vergewaltigten Territorien die revolutionären Eliten und die einheimische Intelligenzija posi tiv und nachhaltig inspiriert hatten.
    In jenen Tagen bereitete sich Bandung auf die Abhaltung der er sten Konferenz für afrikanisch-asiatische Solidarität vor, die ein Jahr später unter der Schirmherrschaft Sukarnos zusammentrat und sich allmählich als Bewegung der »Blockfreien« formierte. Noch ver harrte in der idyllischen Gartenstadt Bandung, die heute zu einem Monstrum von einer Million Menschen angeschwollen ist, eine kleine Schar niederländischer Kaufleute und pensionierter Beam ter. Sie bereiteten sich auf die Rückkehr ins Mutterland vor und er innerten sich mit Wehmut an die Zeit, da Bandung als »javanisches Paris« gefeiert wurde. Manche der Anwesenden hatten einheimi sche Frauen geheiratet.
    Ich fand schnell Zugang zu dieser kleinen Restgruppe, die sich ge rade zu einer Hochzeit versammelt hatte. In jedem zugereisten jun gen Europäer sahen sie einen Verbündeten und einen potentiellen Ehepartner für ihre Töchter. Die attraktive Braut des Tages, mit leichtem malaiischem Einschlag, trug den schönen Namen Maria Landwehr. Die Trauung wurde von einem Geistlichen der Refor mierten Kirche vorgenommen, und noch einmal kam die biedere, etwas spießige Atmosphäre der einst so selbstbewußten »Expatria tes« aus Holland auf. Wieder verspürte ich den modrigen Geruch zerfallender europäischer Macht.
    Die schläfrige Stadt Bandung, wo die weißen Villen der Kolonisatoren noch in die grüne Hügellandschaft eingebettet waren, sollte mit einem Schlag historische Bedeutung erlangen. Der Begriff »Dritte Welt« wurde dort erfunden. Die farbige Menschheit Asiens undAfrikas, die sich mit der Gründung einer Reihe unabhängiger Staaten und der Geburt neuer Nationen durchgesetzt hatte, war nunmehr eifersüchtig darauf bedacht, daß sie nicht im Zuge des sich versteifenden Ost-West-Konflikts in eine neue Form von Abhängigkeit oder Knechtung durch die weißen Hegemonialmächte geriet. Präsident Sukarno hatte bei der Formierung dieser Allianz eine maßgebliche Rolle gespielt, und es war ihm gelungen, so beachtliche Partner wie Indien und die Volksrepublik China in sein weitgespanntes Konglomerat einzubeziehen.
    Die Stoßrichtung war eindeutig: Es ging darum, die politische und kulturelle Dominanz des »weißen Mannes« abzuschütteln, ob sie nun eine Nachwirkung verblichener europäische Kolonisation war oder ob sie sich bereits des ideologischen Konfliktes zwischen Washington und Moskau, der Konfrontation zwischen Kom munismus und Kapitalismus bediente, um rund um den Erdball Verbündete und Trabanten zu mobilisieren. Man

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