Die Angst des wei�en Mannes
paßt nicht mehr in unsere Gegenwart.
Heutetritt uns aus Obamas Zufallsheimat Hawaii eine ganz an dere Vision entgegen: »Ein Präsident, der aus Träumen geboren ist«. Das sei ohne jede Ironie gesagt. Der »American dream«, von dem Samuel Huntington noch meinte, die spanischsprachigen Neueinwanderer müßten ihn auf englisch träumen, um an ihm teil zuhaben, hat seit dem 20. Januar 2009 die Züge eines smarten, ele ganten und zielbewußten Afroamerikaners angenommen. Ihm wird die Last eines Titanen aufgebürdet werden. Er wird zermürbenden Prüfungen ausgesetzt sein. Um dieser historischen Tragik zu begeg nen, wird es nicht ausreichen, daß er sich den »Aloha spirit« ange eignet hat.
Cantoquarto
JAVA
Indonesische Schattenspiele
Geburtstag des Propheten
Yogyakarta, im März 2008
Der Geburtstag des Propheten Mohammed – Maulud oder Maulid genannt – wird in Solo, dem alten Sultanssitz im Herzen Javas, wie eine riesige Kirmes und ein Familienfest gefeiert. Selbst für asia tische Verhältnisse wirkt das Gedränge beklemmend. Mit unend licher Geduld hat sich mein Begleiter, der Agronom Ipang, mit seinem alten Peugeot bis in die Nähe der Agung-Moschee durch geschlängelt. Einen Parkplatz findet er in dem Gewühl jedoch nicht, so daß er während meines Besuchs der »Mesjid«, die mit weit ausgreifendem Dach im Stil eines malaiischen Gemeindehauses ge baut ist, zusätzliche Runden fahren muß in der Hoffnung, mich am Eingang des Gebetshauses wieder anzutreffen.
Die Gläubigen sind in dichten Reihen aufgestellt, und ich ver weile nach dem Murmeln eines »bismillah rahman rahim« nur kurz im hintersten »soff«. Fast jeder Beter trägt die für Malaien typische schwarze Samtkappe in Form eines Schiffchens.
Das Maulud-Fest, so habe ich einmal gelernt, sei gar kein authentischer muselmanischer Feiertag, in keiner Weise zu vergleichen mit dem Fasten oder dem großen Opferfest, die der Koran vorschreibt. Der Geburtstag des Propheten sei gewissermaßen in Nachahmung und Anlehnung an das Weihnachtsfest der Christen ent standenund diene vor allem dazu, den Kindern die Religion nahezubringen und sie, soweit möglich, mit Geschenken zu überhäufen.
Ich bin der einzige Nichtasiate in diesem Getümmel, das vom Lärmen der Kleinen, dem Zimbelklang des Gamelan und dem ver zweifelten Hupen der Autobusse bestimmt wird, zwischen deren kompaktem Blechstrom zahllose Motorräder einen Durchlaß su chen. Bei den Erwachsenen herrscht keinerlei Ausgelassenheit vor. Dem Fremden begegnet man mit dem landesüblichen Lächeln, das ich nach Kräften erwidere. Immer wieder werde ich in schlechtem Englisch nach meiner Herkunft gefragt, und ich behaupte in der »lughat el fusha«, die ich einst mühsam gepaukt hatte, daß ich aus dem Libanon stamme.
Die Stadt Solo, die mehr als eine halbe Million Menschen zählt, gilt als Hort einer strengen islamischen Religionsausübung und un terscheidet sich dadurch von manchen anderen Regionen Indone siens. Sie leidet darunter, daß sie stets im Schatten des nur achtzig Kilometer entfernten Sultanats Yogyakarta stand, dessen Herrscher sich im achtzehnten Jahrhundert als der weitaus mächtigste Fürst auf Java durchsetzen konnte. Immer wieder ist es in Solo zu bluti gen Aufständen gekommen, die sogar die Form von kollektivem Amoklauf annahmen. Von diesen rabiaten Ausbrüchen ist der Mau lud-Feierlichkeit nichts anzumerken.
Der Palast, der Kraton des Sultans, dessen Zugang verschlossen ist, wird von einem Riesenrad überragt. Die hier vorherrschende Prüderie verhindert nicht, daß neben einer Mehrzahl verschleier ter Frauen auch manche Mädchen in Jeans auf den Motorrädern sitzen. Ihr langes schwarzes Haar quillt unter Sturzhelmen, manch mal sogar unter Cowboyhüten hervor. Mir fallen auf den T-Shirts freche Sprüche auf: »Love me« oder »Can’t touch me«.
Trotz der angeblich latent antiwestlichen Stimmung drängen sich die Familien vor den unvermeidlichen McDonald’s-Buden und Pizza Huts. Das Geschenkangebot, das den Eltern für die Bescherung der Kleinen zur Verfügung steht, läßt zu wünschen übrig. Plüschtiere in Himmelblau und Rosarot zeichnen sich durch besondere Häßlichkeit aus. Billige Nachahmungen von Barbiepuppen werdenhalbnackt und recht sexy feilgeboten, und man fragt sich, wie sich diese Frivolität mit den strengen Vorschriften der Schriftgelehrten, der Ulama, vereinbaren läßt.
Auf der Fahrt nach Solo habe ich eine bescheidene christliche Kirche entdeckt. Da fällt
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