Die Angst des wei�en Mannes
wird, knüpft sich nämlich die Hoffnung vieler westlicher Interpreten, auf Java herrsche doch eine synkretistische, extrem to lerante Form der Religionsausübung vor, die eines Tages die uner bittlichen Anhänger der Scharia und des radikalen Jihadismus zu rückdrängen könnte und die zumindest beweise, daß die religiösen Exzesse, die das Treiben der Taleban und Moslembrüder in Verruf gebracht haben, nur ein sehr partieller Aspekt dieser weltumspan nenden Lehre sind.
Der Agronom Ipang, dem ich mich als Mentor anvertraut habe, besitzt leider nur geringes theologisches Wissen. Er ist ein über aus versöhnlicher Muslim und vermerkt mit Befriedigung, daß bei der bevorstehenden Parlaments- und Präsidialwahl der moderate Staatschef Susilo Bambang Yudhoyono und seine Demokratische Partei die weitaus besten Chancen haben. Dieser ehemalige Gene ral, vom Volk mit der Abkürzung S. B. Y. benannt, verfügt über be achtliche Popularität.
In Solo fallen mir auch zahlreiche blutrote Plakate mit der Ab bildung eines Stiers auf, die für die Partei des »Demokratischen Kampfes« der ehemaligen Präsidentin Megawatti Soekarnoputri werben. Der Familienname weist sie als Tochter des Staatsgrün ders Sukarno aus, und der Vorname Megawatti wurde ihr wohl als Ausdruck der damaligen Begeisterung für technische Modernisie rung und Elektrifizierung verliehen. Immerhin ist es bemerkens wert, daß eine Frau zwischen 2001 und 2004 das höchste Amt in diesem überwiegend islamischen Staat ausüben konnte. Wenn sie sich in dieser Position nicht halten konnte, so spöttelt Ipang, lag das an ihrem Mangel an Ausstrahlung und einer angeborenen Trägheit, die sie während der Kabinetts- und Parlamentssitzungen häufig in tiefen Schlaf versinken ließ.
Durch ein Gewirr von Gassen hat Ipang mich zu einer beschei denenMadrassa mit Moschee und Minarett geleitet, wo angeblich ein Korangelehrter mit profunder Kenntnis über den Zustand der Umma in Indonesien residiert. Imam Sobirin, neben dem ich mich auf einer Bastmatte niederkauere, ist kein Fanatiker. Er empfängt mich mit großer Herzlichkeit. Der 44jährige Malaie ist klein gewachsen. Zu seinem weißen Gewand trägt er das übliche schwarze Samtkäppchen. Um dem Vorbild des Propheten zu folgen, hat er versucht, sich einen Bart wachsen zu lassen, aber zu mehr als ein paar Haarbüscheln am Kinn hat dieses Bemühen nicht geführt. Beim Einleitungsgespräch verweist er darauf, daß er Vater von zehn Kindern ist. Eine weibliche Assistentin, die zum vorgeschriebenen Kopftuch eng geschneiderte Jeans trägt, serviert uns Tee.
Zuerst erkundigt sich der Imam nach der Zahl der Muslime in Deutschland. Dann erklärt er mir, daß in Indonesien die Rechts schule oder »Madhhab« der Schafeiten am stärksten vertreten sei. Hier entfalte sich jedoch die Religion des Propheten, Ehre und Lob seinem Namen, in allen möglichen Facetten. Schon zur Zeit der holländischen Fremdherrschaft habe sich eine Erneuerungsbewe gung gebildet, die unter dem Namen »Nahdat ul Ulama« – Erwa chen der Schriftgelehrten – antrat und heute als bedeutendste isla mische Partei für eine sehr gemäßigte Richtung steht.
Daneben hat sich im Lauf der Zeit die »Muhammadiya« als Par allelorganisation herausgebildet. Bei beiden herrscht offenbar die Sorge vor, ihre staatstragende, recht liberale Grundausrichtung könne in Zukunft vor allem bei den Jugendlichen durch radikale Gruppierungen abgelöst werden unter dem Einfluß finanzstarker, radikaler Wahhabiten-Prediger aus Saudi-Arabien, die für eine rigorose, kompromißlose Ausrichtung auf den Koran und für die strikte, ja exzessive Auslegung der koranischen Gesetzgebung, der Scharia, agitieren.
Dieser Entwicklung stehe unter anderem die zum Säkularismus neigende Sammelbewegung Golkar entgegen, auf die der Militärdiktator General Suharto sich gestützt hatte und die bei den Streitkräften über eine beachtliche Anhängerschaft verfügt. Auch diverse »Tarikat«, mystisch gestimmte Bruderschaften oder Derwisch Orden,die der kontemplativen Sufiya zugerechnet werden, seien vor allem auf dem Land stark vertreten. Deren Spannweite reiche von der Naqschbandiya, die in Zentralasien entstand, bis zur Tidjaniya, die im Maghreb gegründet wurde.
Äußerst zurückhaltend äußert sich Ustaz Sobirin, als ich ihn nach den militanten Islamisten befrage. Die starke Präsenz der radikalen »Jamaat el Islamiya« in Solo ist für die Sicherheitsdienste kein Ge heimnis. Dieser Bund von
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