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Die Angst des wei�en Mannes

Titel: Die Angst des wei�en Mannes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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sollte der US-Kriegführung in Vietnam den Rücken frei halten und ein Bollwerk der Stabilität gewähren.
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    Im August 1954 hatte ich mich nicht lange im indonesischen Bandung aufgehalten. Mit der Eisenbahn erreichte ich die alte Königsstadt Yogyakarta, die als historisches und kulturelles Herz Javas gilt. Ich traf dort zum Zeitpunkt eines islamischen Festes ein, das unter demNamen »Sekaten« begangen wurde. Erst später entdeckte ich, daß der Ausdruck Sekaten einer Verballhornung des arabischen Wortes »Schahadatani« entsprach, dem doppelten Bekenntnis zur Einzigkeit Allahs und zur Autorität seines Propheten Mohammed.
    Im damaligen Straßenbild von Yogyakarta war mir bereits aufge fallen, daß viele Frauen den »Hijab«, den Schleier, trugen, was in Jakarta und den übrigen Landesteilen noch die Ausnahme war. Das Fest – vom klimpernden Spiel der Gamelan und feierlicher Rezi tation von Koran-Suren begleitet – entfaltete eine märchenhafte orientalische Pracht.
    Im Mittelpunkt der Zeremonie stand die in Goldbrokat gehüllte Person des Sultans Hamengkubuwono IX. Dieser Fürst war klug genug gewesen, rechtzeitig für die nationalistische Revolution Par tei zu ergreifen, und wurde vom Staatsgründer Sukarno zum Vize präsidenten der Republik Indonesien berufen. Die Sekaten-Prozes sion bewegte sich vom Kraton, vom Palast, zur Freitagsmoschee, und mir schien es, als bleibe hier das strenge, karge Ritual der isla mischen Gebetsübung noch eng verwoben mit den polytheistischen Mythen des Hinduismus, der zur Zeit der großen malaiischen In selreiche die Gesellschaftsstrukturen Javas nachhaltig geprägt hatte.
    Der Sultan selbst trat bei aller koranischen Rechtgläubigkeit mit den prunkvollen Allüren eines Rajah auf und mochte im Unterbe wußtsein des Volkes weiterhin als Wiedergeburt Vischnus oder Schivas verehrt werden. Niemand hätte sich in jener Stunde vorstel len können, daß diese fromme, in respektvoller Ehrfurcht erstarrte Menschenmasse zehn Jahre später einem grauenhaften Blutrausch verfallen und unter Anstiftung der islamischen Jugendorganisation »Ansar« ein fürchterliches Gemetzel unter den angeblichen Staats-feinden und Kommunisten veranstalten würde.
Erwachender Schriftgelehrte n
    Ein halbes Jahrhundert ist seit dem javanischen Zauber des Seka ten-Festes von 1954 an mir vorbeigerauscht, und ich befinde mich wieder im Innenhof des Kraton des Sultans von Yogyakarta. Zu später Stunde, aber in aller Öffentlichkeit findet eine Aufführung des althergebrachten Schattentheaters, des Wayang Kulit, statt. Die platten Figuren sind aus Büffelleder geschnitten und begegnen dem Zuschauer mit seltsam verzerrtem Profil, mit vorstehender Nase, bizarrem Kopfschmuck und spindeldürren Gliedmaßen. Mir hatten die Puppen, die auf vielen Märkten feilgeboten werden, nie sonderlich gefallen.
    Doch an diesem Karfreitagabend beleben sie sich, von einer spär lichen Lampe im Hintergrund angestrahlt, mit eindrucksvoller Gestik hinter dem aufgespannten Schirm. Was hier dargestellt wird, ist die altindische Sagenwelt des Ramayana und des Maha bharata. Die Namen und Taten der Heroen oder Dämonen sind je dem Javaner vertraut. Das Interesse und die Anteilnahme des Vol kes am Schicksal dieser fernen, düsteren Legendengestalten, die aus einem ganz anderen, dem arisch-indischen Kulturkreis impor tiert wurden, die Freude an ihren Kämpfen und Leidenschaften er müden offenbar nie. Die Aufführung des Wayang Kulit beginnt nämlich in der Regel am frühen Abend und dauert bis in die Mor genstunden des folgenden Tages.
    Die Schilderung und die Dialoge der altüberlieferten Vorgänge werden von dem nie erlahmenden Puppenspieler, dem Dalang, in wechselnden, auch weiblichen Tonlagen rezitiert. Es heißt, daß der Durchschnitts-Javaner heute noch die aktuellen politischen Ereig nisse unbewußt auf das Gebaren der Helden und Ungeheuer von einst überträgt. Hinter jedem Geschehnis der Gegenwart vermute er die geheimnisvolle Aktion eines unsichtbaren Drahtziehers, eines Puppenspielers. Der Dalang ist einem weitverbreiteten Aberglau ben zufolge mit Zauberkräften, zumindest mit magischem Wissen ausgestattet.
    Warumich so ausführlich auf diese heidnischen Bräuche zu spre chen komme, die den strengen Jüngern der islamischen Salafiya wie Teufelszeug, wie »Kufr«, wie Sünde wider die reine Lehre des Korans erscheinen müssen? An den Islam, wie er in Indonesien von der weitaus stärksten Menschenballung der gesamten Umma prak tiziert

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