Die Angst im Nacken - Spindler, E: Angst im Nacken
sich den Hals, um die Eintragungen zu lesen, konnte aber nur wenige Worte entziffern. Es schien ein Hilferuf zu sein.
Auffallend war, dass manche Passagen nur unleserlich hingekritzelt waren, andere aber präzise und gestochen scharf geschrieben. Die Satzzeichen waren verziert. Manches wirkte niedlich, anderes eher beängstigend.
Zweifellos stammten diese Zeichnungen von einer gestörten Seele.
Von dem Patienten, dem Ben helfen will.
„Du kannst es einfach nicht lassen, was?“
Anna sah verlegen auf. Ben hatte sein Telefonat beendet und sie wieder mal beim Schnüffeln erwischt.
Die Wangen wurden ihr warm. „Tut mir Leid. Ich … du hast Recht. Ich kann es nicht lassen, ich bin Schriftstellerin. Und ich mache mir Sorgen um dich.“
Er schloss das Tagebuch. „Ich möchte, dass du gehst, Anna.“
„Tut mir Leid“, wiederholte sie, straffte sich und wich einen Schritt zurück. „Soll ich dir nicht wenigstens den Arzt …“
„Raus mit dir!“
„Ben, bitte! Ich möchte nicht, dass wir uns so trennen. Es geht dir nicht gut. Wenn du dich vielleicht etwas ausruhst …“
Er fröstelte wieder, seine Miene wurde eisig. „Was dann? Soll ich dann vielleicht nicht mehr wütend auf dich sein? Du hast deine Schätze an diesen Dummkopf von Cop verschleudert. Weißt du, wie sehr mich das ankotzt? Kannst du dir vorstellen, wie ekelhaft ich das fand, dich halb angezogen dastehen zu sehen, völlig geil auf diesen Kerl wie eine billige Nutte?“
Ihr stockte der Atem, und sie wich weiter zurück. „Wenn du es so haben willst, Ben, gut. Ich dachte, wir könnten Freunde bleiben. Ich sehe jetzt, das ist nicht möglich.“
Er rieb sich erschauernd die Arme. „Geh nicht, Anna. Es tut mir Leid. Ich stehe sehr unter Druck. Dieser Patient … es ist schlimm. Wenn ich es dir erzählen könnte, würdest du es verstehen. Bitte …“
„Es geht dir nicht gut, und ich schlage vor, dass du einen Arzt aufsuchst.“ An der Tür sah sie noch einmal zurück. „Ich kann dir nicht helfen, Ben. Machs gut.“
58. KAPITEL
Dienstag, 6. Februar,
9 Uhr 15.
Im Zentralgefängnis am anderen Ende der Stadt wartete Quentin auf Terry. Sein ehemaliger Partner hatte um den Besuch gebeten. Er war gekommen, aber nicht wegen ihrer gemeinsamen Vergangenheit, sondern wegen Anna. Er hoffte, Terry Informationen zu entlocken, wo Jaye war, denn die Zeit drängte.
Quentin sah auf seine Uhr und ging in dem kleinen Raum auf und ab, in dem nur ein Metalltisch und zwei Klappstühle standen. Der Tisch war am Boden befestigt. Wände und Tür bestanden aus verstärktem Stahl. Die einzige Beleuchtung im Raum kam von einer Neonröhre hinter einem Schutzgitter. In die dicke Tür war ein Sichtfenster geschnitten worden, aber so klein, dass kein Entfesselungskünstler hindurchschlüpfen konnte.
Er streckte ungeduldig die Finger, konnte es nicht erwarten, mit der Befragung zu beginnen, und fürchtete sich zugleich davor. Er hatte sich absichtlich aus den weiteren Ermittlungen herausgehalten aus Sorge, seine Wut auf Terry könne seine Objektivität trüben. Und diese Wut war nicht geringer geworden.
Als sich ein Schlüssel im Schloss drehte, wandte er sich der Tür zu. Der Wachmann erschien, dann Terry. Sein einst strahlender Freund schlurfte unrasiert, ungekämmt und an Händen und Füßen gefesselt, herein. Ohne Quentin anzusehen, ging er zu einem Stuhl und setzte sich.
„Rufen Sie, wenn Sie mich brauchen“, sagte der Wachmann und schloss bereits die Tür.
Quentin nickte und setzte sich. Terry hob den Blick. Sekundenlang schwiegen sie sich an. Sie betrachteten einander, Angeklagter und Ankläger, Betrogener und Betrüger.
Quentin brach das Schweigen. „Orange steht dir nicht“, bemerkte er in Bezug auf Terrys Gefängnisoverall. „Du siehst beschissen aus.“
Terry zog schwach einen Mundwinkel hoch, ein matter Abglanz seines einst kecken Grinsens. „Wirklich? Dabei stammt er aus der besten Boutique am Platz.“
Immer noch der Scherzkeks. Quentin straffte sich. „Also, was willst du, Terry?“
Er senkte den Blick und fragte ernst: „Wie geht es Penny?“ „Ist dir das wirklich wichtig?“
Zornrot im Gesicht, brauste er auf: „Ja, verdammt. Wie geht es ihr?“
Quentin beugte sich vor. „Was glaubst du wohl? Sie ist am Boden zerstört. Sie fühlt sich gedemütigt und macht sich Sorgen, wie diese Sache ihre Kinder beeinträchtigt.“
„Sie … fehlen mir.“
Terry brach die Stimme, und Quentin fiel es schwer, kein Mitleid zu empfinden. „Aber
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