Die Angst im Nacken - Spindler, E: Angst im Nacken
Was für eine Sorte Verbrecher hatte ich zur Miete?“
36. KAPITEL
Montag, 29. Januar,
22 Uhr 20.
Ben erwachte, und seine Mutter starrte ihn an, wie sie es manchmal tat, das Gesicht aschfahl, die Lippen blutleer. So beunruhigend das war, hatte er gelernt, diese Symptome ihrer Krankheit zu ignorieren. Da Alzheimer-Patienten die Realität nur noch sporadisch wahrnahmen, waren sie leicht zu erschrecken und zu verunsichern.
Er richtete sich auf, und das Buch in seinem Schoß glitt zu Boden. „Entschuldige, Mom“, sagte er leise, rollte die Schultern und griff nach dem Buch. „Ich sollte es besser wissen, als dir nach einem so langen Tag noch etwas vorlesen zu wollen. Der Klang meiner Stimme macht mich jedes Mal schläfrig.“ Er verzog ironisch das Gesicht. „Ich kann nur vermuten, wie einschläfernd sie erst auf meine Patienten wirkt.“
„Er war da“, sagte sie plötzlich. „Dieser Mann.“
Ben war hellwach und betrachtete sie aufmerksam. „Wer? Welcher Mann?“
Sie schüttelte den Kopf. „Dieser Teufel, er war hier, als du geschlafen hast.“
Ein Mann war hier, in diesem Raum, während ich geschlafen habe? Er bezweifelte das. Ausgeschlossen war es jedoch nicht. Einmal eingeschlafen, war er kaum noch zu wecken. Ben sah seine Mutter forschend an und bemerkte den Ausdruck echter Angst in ihren Augen. „Ich weiß nicht, von welchem Mann du sprichst. Ist es jemand, den du von hier kennst?“
Leicht zitternd erwiderte sie: „Nein. Er ist ein böser Mann.“
„Ein böser Mann“, wiederholte Ben besorgt. „Warum ist er böse, was meinst du damit?“
„Er will dir was antun. Und er will mir was antun. Er hat es gesagt.“
Ben erhob sich stirnrunzelnd. Alle Besucher mussten sich am Empfang eintragen. „Du bleibst hier sitzen, Mom. Ich werde mich ein bisschen mit der diensthabenden Schwester unterhalten.“
„Ich habe ihm gesagt, du würdest nicht zulassen, dass er mir was antut. Aber er hat nur gelacht und gesagt, du könntest ihn nicht daran hindern.“ In wachsender Erregung begann sie an den Revers ihres Bademantels zu zupfen. „Er sagt, er ist stärker als du und mächtiger.“
Ben beugte sich hinunter, küsste ihr den Scheitel und lächelte sie aufmunternd an, ohne seine Besorgnis zu zeigen. „Das werden wir noch sehen. Bleib sitzen, ich bin gleich zurück.“
Er verließ das Zimmer und ging auf die Schwesternstation am Ende des Flures zu. Dort fand er eine Schwester und ihre beiden Hilfskräfte im Gespräch. Eine hatte die Schuhe ausgezogen und rieb sich die Füße.
„Hallo, Ladies“, grüßte er lächelnd. „Ich habe eine Frage. War heute Abend außer mir jemand bei meiner Mutter?“ Da sie ihn verwirrt ansahen, fügte er lächelnd erklärend hinzu: „Ich war beim Vorlesen eine Weile eingeschlummert. Als ich wach wurde, sagte meine Mutter, ein Mann wäre in ihr Zimmer gekommen und hätte sie bedroht.“
„Einer der Bewohner?“
„Nein. Sie sagt, es sei niemand, den sie von hier kennt.“
Die Frauen sahen sich untereinander verblüfft an, dann erklärte Schwester Wanda: „Seit acht ist niemand gekommen oder gegangen.“
Ben schürzte nachdenklich die Lippen. „Was ist mit den letzten Wochen? Sie sagte, der Mann war schon früher bei ihr.“
„Lassen Sie mich im Buch nachsehen.“ Wanda stand auf, ging an den Schreibtisch und nahm das Buch mit den Eintragungen. Sowohl die Namen der Besucher als auch die der Heimbewohner, die sie besuchten, waren aufgeführt. Es verging eine Weile, bis sie die Seiten umgeblättert und überflogen hatte. „Letzte Woche war Pater Ray bei ihr. Am Tag davor Dr. Levine. Einige Schülerinnen, Freiwillige aus der ,Sacred Hearts Academy‘, haben sie besucht.“ Sie blätterte noch einige Seiten zurück und hielt inne. „Das waren jetzt zwei Wochen. Und außer Ihnen, Pater Ray, Dr. Levine und den Mädchen war niemand bei Ihrer Mutter. Ach ja, und am Montag bekam sie die Haare gemacht. Shelley hat das übernommen.“
Ben runzelte die Stirn. „Sie ist ziemlich aufgeregt und …“
Vom Ende des Flures erklang ein Krachen, dann ein Jammern. Ben drehte sich besorgt in die Richtung des Geräusches, dann sah er Wanda an. „Das ist Mom!“
Wie der Blitz kam Wanda um den Tresen herum, und beide eilten zum Zimmer seiner Mutter.
Sie fanden sie auf dem Boden neben ihrem Bett. Die Knie angezogen, wiegte sie sich weinend vor und zurück. „Ich habe versucht, ihn aufzuhalten!“ rief sie, als sie Ben sah. „Ich habe es versucht, schau …“ Sie wies
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