Die Angst im Nacken - Spindler, E: Angst im Nacken
auszusprechen, was sich beide fragten: Was muss Jaye derzeit durchmachen?
Dalton sah elend aus. „Was hast du vor? Ich glaube, wir sollten …“
„Malone anrufen. Ich mache das sofort.“
Eine halbe Stunde später waren Anna und Quentin Malone, ausgerüstet mit dem Brief und einem Bild von Jaye, bereits auf halbem Weg über den Damm des Lake Pontchartrain nach Mandeville.
Glücklicherweise war Malone im Revier gewesen, als sie angerufen hatte, und er war sofort gekommen. Nach einem kurzen Blick auf den Brief und das Foto hatte er gefragt, ob sie Lust auf eine Fahrt über den See habe. Sie hatte nicht lange überlegt. Zu Hause auf eine Mitteilung von ihm zu warten, ob er etwas herausgefunden hatte, wäre die reine Qual gewesen.
Nachdem Malone seine beruflichen Fragen gestellt hatte, wechselten sie kaum noch ein Wort miteinander. Es gab auch nichts zu sagen. Anna saß da, den Blick starr auf die Straße gerichtet, die Hände fest im Schoß gefaltet.
Nach einer Weile langte er hinüber und bedeckte ihre Hände mit seiner Hand. „Es gibt immerhin etwas Positives, Anna.“
Obwohl ihre Augen in Tränen schwammen, sah sie ihn geradezu trotzig an. „Und was sollte das wohl sein? Dass wir die Gewissheit haben, Jaye befindet sich in den Händen eines Irren oder Perversen?“ Sie konnte nicht weitersprechen und rang einen Moment um Fassung. Schließlich fuhr sie fort: „Sie wird schon seit dem 18. vermisst, und niemand hat nach ihr gesucht. Sie können sich einfach nicht vorstellen, wie schuldig ich mich dabei fühle, wie viel Angst ich um sie habe.“
„Sie haben nach ihr gesucht.“ Er drückte ihr kurz die Hände und ergriff wieder das Lenkrad. „Sie haben nicht locker gelassen und nicht aufgegeben.“
„Wirklich nicht? Ich hätte mehr tun können. Ich hätte beharrlicher sein müssen.“
Er warf ihr mitfühlend einen Seitenblick zu. „Und wie, bitte? Sie waren bei Jayes Pflegeeltern, beim Sozialdienst und bei der Polizei. Sie haben mit Jayes Freunden gesprochen und sind jeder Spur gefolgt. Was hätten Sie noch tun können?“
Sie wandte den Blick ab. Irgendwie hatte er Recht, doch das Gefühl, Jaye im Stich gelassen zu haben, ließ sich nicht einfach verdrängen. „Ich habe mein Leben normal weitergelebt“, flüsterte sie. „Das hätte ich nicht tun dürfen. Ich fühle mich so schuldig.“
„Ich weiß. Aber Sie dürfen sich da nicht hineinsteigern. Das hilft ihr nicht.“ Er sah sie noch einmal kurz an. „Also, was ist nun mit dem Positiven? Muss ich es hervorheben? Sie sehen aus, als könnten Sie Aufmunterung gebrauchen.“
„Das ist eine Riesenuntertreibung.“
Er zog lächelnd einen Mundwinkel hoch. „Das Positive ist, dass wir eine Spur haben. Etwas Konkretes.“
„Ich bin überwältigt.“
Ihr Sarkasmus wunderte ihn. „Verglichen mit der Lage von gestern ist das eine deutliche Verbesserung, Anna. Jeder gelöste Fall beginnt mit einer Spur.“ Zur Unterstreichung seiner Aussage hob er den Zeigefinger. „Eine Spur, mehr brauchen wir nicht. Wenn alles gut läuft, wird der Brieffachvermieter uns die Adresse geben, unter der Jaye gefangen gehalten wird.“
„Und wenn nicht?“
„Dann versuchen wir es weiter.“ Sie verließen den Damm, und Malone sah sie wieder kurz an. „Ich lasse jetzt nicht mehr locker. Wir werden Jaye finden. Wenn nicht heute, dann in den nächsten Tagen. Das verspreche ich Ihnen.“
Unter dem Druck der Polizei gab der Betreiber des „Mail & Copy Store“ tatsächlich den Namen des Brieffachmieters preis. Das Fach war von einem Adam Furst angemietet worden. Er wohnte in der Lake Street in Madisonville.
Madisonville war eine kleine Gemeinde etwa fünf Meilen westlich von Mandeville. Die charmante Enklave am Fluss Tchefuncte mit ihren renovierten viktorianischen Cottages, den Fischrestaurants, Kaffeehäusern und Millionen teuren Villen am Flussufer lag seit einigen Jahren im Trend.
Adam Fursts Adresse gehörte jedoch nicht zu einer der Luxusvillen, sondern zu einem verfallenen Doppelhaus in einer Straße, die von den stadtmüden Yuppies, die vor Hektik und Kriminalität aufs Land flüchteten, noch entdeckt werden musste.
Quentin hielt vor dem Gebäude, schaltete den Motor aus und sah Anna an. „Ich möchte, dass Sie hier warten.“ Sie wollte protestieren, doch er fiel ihr ins Wort. „Lassen Sie es mich anders formulieren: Sie warten hier. Basta.“
Sie stimmte widerwillig zu und sah ihm nach, als er den überwucherten Weg entlang zur halb verfallenen
Weitere Kostenlose Bücher