Die Angst im Nacken - Spindler, E: Angst im Nacken
nach vorn.
Ben blickte in die angegebene Richtung. Sie hatte eine Vase zur Kommode geworfen. Das Krachen, das sie gehört hatten, war der Aufprall der Vase gegen die Dinge gewesen, die auf der Kommode standen: Toilettenartikel, gerahmte Fotos und eine Porzellanfigur.
Ben ging zu ihr, hockte sich hin und nahm sie in die Arme. Zart und gebrechlich, zitterte sie in seinen Armen wie ein kleiner Vogel.
„Ich sehe es, Mom“, raunte er mit belegter Stimme. „Es ist gut, Liebes. Alles wird wieder gut.“
Eine halbe Stunde später überquerte Ben auf dem Weg zu seinem Auto den Parkplatz des Pflegeheims. Seufzend blickte er mit schwerem Herzen zum dunklen Himmel hinauf. Es tat ihm weh, seine Mutter so rasch verfallen zu sehen.
Er begann sie zu verlieren. Eines Tages, in nicht allzu ferner Zukunft, würde er sie besuchen, und sie würde ihn nicht mehr erkennen. Ihre Welt würde nur noch aus Fremden bestehen. Aus Pflegepersonal und bedrohlichen Gestalten, wie dem Mann von heute Abend.
Warum sie? fragte er sich. Sie hatte ein Leben lang hart gearbeitet, um ihm, obwohl er vaterlos aufwuchs, ein gutes Zuhause, eine normale Kindheit und Liebe zu geben. Sie war nicht nur seine Mutter gewesen, sondern auch sein Vorbild und seine Freundin. Sie verdiente das nicht.
Ben schluckte trocken. Sein Onkel war vor einigen Jahren gestorben. Obwohl sie sich nicht sehr nahe gestanden hatten, war er immerhin ein Familienmitglied gewesen. Wenn seine Mutter auch noch starb, würde er allein sein. Keine Familie, niemand, der zu ihm gehörte.
Plötzlich dachte er an Anna. Ihr Bild stand ihm deutlich vor Augen, und er lächelte. Er hatte sie neulich morgens angerufen, gleich nachdem Detective Malone gegangen war, und ihr von dem Einbruch in seinem Haus und dem Umschlag mit dem Foto erzählt.
Sie war erschrocken gewesen und auch wütend. Nicht auf ihn, sondern auf die ganze Situation. Er hatte versprochen, nicht zu ruhen, bis er den Patienten ausfindig gemacht hatte, der hinter alledem steckte, und sie über seine bisherigen Ermittlungen auf dem Laufenden gehalten.
Seither hatte er nicht mehr mit ihr gesprochen, und sie fehlte ihm.
Ben sah auf seine Uhr und stellte fest, dass es zu spät war, um sie anzurufen. Er bedauerte das sehr. Ihm war danach, sich bei ihr das Herz auszuschütten, mit ihr über seine Mutter und über seine Gefühle zu reden. Sie würde ihn verstehen, so war sie nun mal.
Er begann sich in sie zu verlieben. Da sie sich erst wenige Wochen kannten, schien das fast unmöglich zu sein, doch es war so. Die Erkenntnis versetzte ihn in einen Gemütszustand, der zwischen heiter und ängstlich schwankte. Er verspürte den Drang, in Deckung zu gehen, und zugleich hätte er auf Wolken tanzen mögen.
An seinem Auto angelangt, entdeckte er eine Notiz unter dem Scheibenwischer und riss sie darunter hervor. Die Botschaft lautete:
„Du verliebst dich in sie. Sie wird heute Nacht sterben.“
Ben wurde heiß und kalt vor Angst.
Nicht Anna! Das darf nicht sein!
Eilig schloss er den Wagen auf und stieg ein. Er rammte den Schlüssel ins Zündschloss und griff nach seinem Handy. Der Motor brüllte auf, während Ben Annas Nummer eingab.
Es läutete, einmal, zweimal, dreimal. Mit heftigem Herzklopfen wartete er, zählte weiter und betete. Anna nahm nicht ab, und der Anrufbeantworter schaltete sich ebenfalls nicht ein.
Da stimmte etwas nicht.
Sie wird heute Nacht sterben!
Leise fluchend legte er den Gang ein und preschte vom Parkplatz, dass Kies aufspritzte und das Heck des Wagens ins Schlingern geriet. Er musste Anna warnen und beschützen. Wenn sie nicht zu Hause war, würde er an ihrem Tor Wache stehen, bis sie heimkam. Er würde nicht zulassen, dass dieser Irre ihr auch nur ein Haar krümmte. Und falls er das doch tat, würde er ihn in der Luft zerreißen.
37. KAPITEL
Montag, 29. Januar,
23 Uhr 50.
Anna erwachte aus tiefem Schlaf, schlug die Augen auf und hatte sofort Angst. Ihre Nachttischlampe war aus, das Schlafzimmer lag völlig im Dunkeln. Sie blickte in die Ecken des Raumes – und ihre Fantasie ging mit ihr durch –, entdeckte ein Monster und gab ihm einen Namen.
Kurt!
Wie gelähmt vor Angst, lag sie still mit wild pochendem Herzen und lauschte. Die Stille war erdrückend. Mit größter Willensanstrengung drehte sie vorsichtig den Kopf zum Nachttisch und sah auf das Leuchtzifferblatt ihres Weckers. Fast Mitternacht.
Von irgendwo aus der Wohnung kam ein Geräusch, unerwünscht und nicht zu identifizieren.
Ich bin
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