Die Angstmacher
könnten.« Eine unkomplizierte Klagemöglichkeit zu schaffen, würde eine neue Kultur der Auseinandersetzung zwischen Versicherern und Verbrauchern ermöglichen. Damit würden Kunden ganz erheblich gestärkt und etwas näher auf Augenhöhe der Assekuranz rücken. Kein Wunder, dass die Branche nichts von diesem Instrument hält. »Wir sind gegen Sammelklagen«, sagt der Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft Jörg von Fürstenwerth. »Damit hätten wir schnell Zustände wie in den USA.« InDeutschland reiche die Möglichkeit der Verbandsklage aus, mit der zum Beispiel Verbraucherzentralen gegen Versicherungsbedingungen vorgehen können.
Erfolgreiche Verbandsklagen können für Kunden in wichtigen Streitfällen in der Tat der Weg zu einem für sie erfolgreichen Verfahren sein. Im Fahrwasser positiver Entscheidungen können sie ebenfalls auf Erfolg hoffen. Aber dabei müssen sie die Klage mit allem Drum und Dran selbst führen. Darauf, dass ein anderer Verbraucher in einer vergleichbaren Sache vor Gericht zieht und ein Grundsatzurteil auch zu ihren Gunsten erstreitet, brauchen Verbraucher nicht zu hoffen. Die Versicherer haben eine perfide Strategie, Grundsatzurteile zu ihren Ungunsten zu verhindern. Zeichnet sich ab, dass sie vor dem Bundesgerichtshof verlieren, schließen sie einen Vergleich mit dem Kläger.
Wie Versicherer Grundsatzurteile verhindern
Wer eine Sehschwäche im Bereich von plus vier bis minus zehn Dioptrien hat, ist Kandidat für eine Lasik-Operation. Mit einem Hornhauthobel oder einem Femtosekundenlaser schneidet der Chirurg in die Hornhaut, klappt sie auf und lasert das darunterliegende Gewebe. In weniger als einer halben Minute ist die Sache erledigt, der Patient kann rasch wieder scharf sehen, vor allem die Rechnung von einigen 1000 Euro. Kassenpatienten müssen diese Operation meistens selbst zahlen. Es sei denn, sie haben eine private Zusatzversicherung. Aber auch private Krankenversicherer wollen dafür nicht aufkommen. Schließlich können ihre Kunden ja eine Brille oder Kontaktlinsen tragen.
Immer wieder zogen Patienten wegen dieser Sache vor Gericht. Bis heute gibt es kein Grundsatzurteil in dieser Frage – nicht obwohl, sondern weil die Richter des Bundesgerichtshofs zu erkennen gaben, dass sie den Patienten recht geben würden. Kurz vor dem Urteilsspruch strichen die Versicherer die Segel und zahlten dem Patienten die Operationskosten. Irgendwannwurde es einer Richterin am Bundesgerichtshof zu bunt. Obwohl so etwas sehr unüblich ist, hat die damalige Bundesrichterin Sibylle Kessal-Wulf in einem Fachaufsatz präzise beschrieben, wie private Krankenversicherer gezielt und systematisch ein Urteil des höchsten Gerichts zur Kostenübernahme von Augenoperationen mit einem speziellen Laserverfahren verhindert haben. In den verhandelten Fällen übernahmen die Versicherer die Kosten für die Behandlung regelmäßig, als sich abzeichnete, dass der Bundesgerichtshof zugunsten der Patienten entschieden hätte. Ein Grundsatzurteil würde vielen das Klagen ersparen. Die Versicherer aber würde es viel Geld kosten, für eine Lasik-Operation sind zwischen 2500 und 5000 Euro fällig.
Die Strategie ist immer die gleiche: Über Jahre jagen clevere Anwälte der Versicherer die Kläger durch die Instanzen. Kurz vor dem letzten Wort des höchsten Gerichts schließlich knicken die Gesellschaften ein und schließen einen Vergleich. Auch wenn das im Einzelfall teuer ist, ist es immer noch billiger als ein Richterspruch mit Signalwirkung. Allein im Jahr 2009 haben Versicherer sieben Grundsatzurteile verhindert, die nach Schätzung von Experten Ansprüche von bis zu 40 Milliarden Euro zur Folge hätten haben können. Das strategische Verhindern der Revision vonseiten der Versicherer ist nicht akzeptabel. »Oft geht es um Fragen, die Millionen von Kunden betreffen«, sagt Rechtswissenschaftler Hans-Peter Schwintowski. Gegen die Strategie der Versicherer ist die Justiz nicht machtlos. Wenn die Versicherer ihre Revision zurückziehen, könnten die Richter des Bundesgerichtshofs schon heute ihre Meinung zu diesem Sachverhalt publik machen, sagt Schwintowski. Nicht nur in einem Fachaufsatz. »Die Richter sollten ihre Meinung als Statement des Bundesgerichtshofs veröffentlichen«, fordert er. Auch ohne ein Urteil wäre die Lage für viele Fälle klar und Rechtssicherheit hergestellt. Eine zweite Möglichkeit, das strategische Kassieren der Revision zu verhindern, wäre eine
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