Die Angstmacher
oder drei Kollegen unter einem Dach zusammen. Mittlerweile gibt es immer mehr Großkanzleien nach US-amerikanischem Vorbild mit Dutzenden von Partnern.
Juristen dürfen die Zusatzbezeichnung Fachanwalt für Versicherungsrecht nur tragen, wenn sie spezielle Fortbildungsveranstaltungen besucht haben. Außerdem müssen sie eine bestimmte Anzahl von Fällen aus dem Fachgebiet nachweisen, die sie im Anschluss an die Seminare bearbeitet haben. Und genau hier liegt das Problem. Sie müssen innerhalb von drei Jahren 80 Fälle an Land ziehen, davon müssen zehn vor Gericht gewesen sein. Das klingt wenig. Für Anwälte in großen Kanzleien, die viele Fälle von Versicherern bekommen, sind diese Zahlen auch schnell zu erreichen. Für Einzelanwälte, die unabhängig sind und eben noch nicht den Fachanwaltstitel tragen, ist es aber sehr schwer, an so viele Mandanten mit Assekuranz-Scharmützeln zu kommen. Weil vielen klar ist, dass die Versicherer am längeren Hebel sitzen und zur Not durch alle Instanzen gehen, wollen sie in der Regel einen Vergleich erreichen. Das mindert die Zahl der potenziellen Prozesse. Die Folge: Die Praxiserfahrung der Fachanwälte bezieht sich vor allem auf Prozesse, in denen sie die Versicherer vertreten.
Die Auswahl auf dem Anwaltsmarkt ist für Privatmenschen stark eingeschränkt, wenn es gegen einen Versicherer geht. »Geschädigte und Kunden haben schon das schlichte Problem, Rechtsschutz zu finden«, sagt der Berliner Rechtswissenschaftler Hans-Peter Schwintowski. Vertritt ein Anwalt einen Versicherer, kann er sicher sein, dass die Gesellschaft zahlt. Egal wie es ausgeht. Bei einem einfachen Bürger ist das anders. Verliert er, ist er möglicherweise wirtschaftlich ruiniert. Dann gibt es für den Anwalt nur noch die Prozesskostenhilfe. Solche Mandate sind für Juristen unattraktiv. Dass sie sie ablehnen, ist naheliegend. Die Kanzlei sei überlastet, heißt es dann.
In diesem Geflecht kaum zu durchschauender Interessen ist es für Privatleute sehr, sehr schwer, zu ihrem Recht zu kommen. Sie haben einen übermächtigen Gegner, der all das hat, was ihnen fehlt: Zeit, Geld und clevere Strategien. Die Versicherer nehmen bei einem Schaden den Anspruchsteller genau ins Visier. »Hat der Geschädigte einen Rechtsschutzversicherer oder einen großen Sozialversicherungsträger an seiner Seite, regulieren sie einen Schaden ganz anders als in den Fällen, in denen er keinen starken Partner hat«, sagt Rechtswissenschaftler Schwintowski. Wissen die Unternehmen, dass ihr Gegner den Weg durch die Instanzen durchhalten kann, sind sie vorsichtiger. Und selbst dann lassen sie es noch oft genug darauf ankommen. Viele Tausende Kunden oder Geschädigte erheben gegen Versicherer Klage, an manchen Gerichten gibt es eigene Versicherungssenate. Der Weg durch die Instanzen bis zum Bundesgerichtshof dauert im Schnitt vier Jahre. Rund 400 Verfahren sind dort im Jahr anhängig. Viele kommen gar nicht bis dahin, weil ihnen vorher die Puste ausgeht oder sie eine Klage nicht wagen, weil sie das finanzielle Risiko fürchten oder keinen geeigneten Rechtsbeistand finden.
Das ungleiche Kräfteverhältnis zwischen Verbraucher und Versicherer braucht eine Korrektur, fordert Jura-Professor Schwintowski. Damit Privatleute überhaupt die Gelegenheit haben, zu ihrem Recht kommen zu können, brauchen sie Unterstützung. »Geschädigte und Kunden müssen gleich starkgemacht werden, damit sie mit den Versicherern auf einer Ebene sind«, fordert er. Sein Vorschlag für eine Schadenregulierung auf Augenhöhe: Hat der Verbraucher keinen Rechtsschutzversicherer und kein dickes Konto, finanziert der Versicherer den Prozess für den Kunden vor. In vielen Fällen geht es nicht darum, ob der Geschädigte überhaupt etwas vom Versicherer bekommt, sondern nur, wie viel. Der Bürger ist dem Unternehmen völlig ausgeliefert, wenn es die Schadensumme einfach kürzen und darauf vertrauen kann, dass sich die betroffene Person nicht wehrt – weil sie keine Rechtsschutzversicherung hat. »Da müsste der Gesetzgeber etwas tun«, sagt Rechtswissenschaftler Schwintowski. Wie bei der Prozesskostenhilfe für Bedürftige könnte ein Gericht zu Beginn des Verfahrens prüfen, ob die Sache völlig aussichtslos ist. Nur wenn es keinerlei Aussicht auf Erfolg gibt, könnte der Versicherer die Finanzierung verweigern. »Es geht nicht darum, den Verbraucher gegenüber dem Versicherer besserzustellen«, betont Schwintowski. »Es geht darum, ihn genauso stark zu machen
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