Die Angstmacher
Gesetzesänderung. »Der Gesetzgeber könnte die Richter verpflichten, ihre Meinung zu veröffentlichen«, sagt er. Viele amtierende oder ehemaligeOberrichter, das sind die Richter an den höchsten Gerichten, ärgern sich über das Vorgehen der Versicherer, und spätestens wenn sie ihr Amt verlassen, äußern sie sich offen gegen diese Praxis. Deshalb gehen Beobachter davon aus, dass Bewegung in die Sache kommt.
Dass Kunden und Verbraucherschützer beim Beschreiten des Rechtswegs oft in den unteren Instanzen verlieren, hat einen einfachen Grund, sagt der Düsseldorfer Fachanwalt für Versicherungsrecht Mark Wilhelm. »Die Versicherer dominieren die wissenschaftliche Literatur.« Die juristische Fachliteratur stamme aus der Feder von Experten, die der Branche nahestehen, einfach weil Unternehmen aus der Assekuranz zu ihren Mandanten gehören – und nicht die Kunden. Gesetze sind das eine. Ihre Auslegung ist eine andere Angelegenheit. Richter unterer Instanzen sind auf dem Fachgebiet Versicherungsrecht oft keine Spezialisten. »Sie orientieren sich an den wissenschaftlichen Veröffentlichungen«, sagt Wilhelm. Schon der Begründer der Kommentarliteratur zum Versicherungsrecht kam direkt aus einem Versicherungsunternehmen. Es war Erich Prölss, der seit 1936 im Vorstand und ab 1956 Generaldirektor der Bayerischen Rückversicherung war. Er legte die Grundlagen der versicherungsrechtlichen Auslegung und dominierte die Kommentarliteratur über Jahrzehnte. Heute stammen die meisten wichtigen Werke zum Versicherungsrecht aus der Feder assekuranznaher Juristen. Nur sehr wenige wissenschaftliche Autoren im Versicherungsrecht gehören nicht ins Lager der Versicherer. Dazu gehören der Rechtswissenschaftler Hans-Peter Schwintowski und der ehemalige Bundesrichter und frühere Versicherungsombudsmann Wolfgang Römer.
Verbraucherschutz per Klage
Trotzdem: Das schärfste Schwert der Verbraucherschützer ist die Klage. »Vor dem Gericht erreichen wir mehr als vor dem Gesetzgeber«, sagt Versicherungsexpertin Edda Castelló von der Verbraucherzentrale Hamburg. Die Strategie der Verbraucherschützer: Sie wollen möglichst viele höchstrichterliche Urteile zugunsten der Verbraucher erwirken, also genau das erreichen, was die Versicherer verhindern möchten. Die Attacke gegen einen Versicherer mit unfairen Methoden beginnt oft mit einer Abmahnung. Der Versicherer soll unterschreiben, dass er eine bestimmte Klausel nicht mehr anwendet oder eine bestimmte Geschäftspraxis abstellt, etwa unlautere Telefonwerbung. Bei der Werbung sind Versicherer oft zum Einlenken bereit. Bei den Klauseln bleiben sie fast immer hart – denn andernfalls müssen sie ihre Bedingungen ändern, und das ist mit Aufwand verbunden. Der Weg durch die Instanzen beginnt. Wie der ausgeht, ist ungewiss. Doch immer wieder schaffen Kunden oder Verbraucherschützer vor Gericht den großen Durchbruch. Sie konnten durchsetzen, dass die Versicherer Kunden in weitaus größerem Maße an ihren Gewinnen beteiligen müssen, als sie bereit waren. Erfolgreich sind die Verbraucherschützer immer wieder, wenn es um eine kundenfreundlichere Berechnung der »Rückkaufswerte« in der Lebensversicherung geht. Der Rückkaufswert ist das, was übrig bleibt, wenn der Kunde sein Geld aus der Lebensversicherung vor Vertragsablauf zurückhaben will. Weil der Versicherer so viel für Kosten abzieht, ist das oft viel weniger, als der Sparer eingezahlt hat. Verbraucherschützer haben dafür gesorgt, dass Kunden mehr zurückbekommen. Aber die Gesellschaften machen es der anderen Seite so schwer wie möglich. Haben die Verbraucherschützer etwas zugunsten der Verbraucher durchgesetzt, heißt das nicht, dass die Versicherer diese Änderung für alle anderen übernehmen. Lieber lassen sie sich Fall für Fall separat verklagen.
Von sich aus geben die Unternehmen ohnehin nichts her.Verbraucher müssen vorenthaltene Gewinnanteile in der Lebensversicherung oder zu hohe Abzüge von ihren Prämien selbst erstreiten. »Wir wollen den Boden bereiten für Kunden«, sagt Castelló. Mit einem höchstrichterlichen Urteil im Rücken ist es für viele Kunden einfacher, vor Gericht ihr Recht durchzusetzen. Wenn es sich anbietet, versuchen die Verbraucherschützer Kunden zu einem Gruppenverfahren zu bewegen. Das entspricht nicht ganz den Vorstellungen von Jura-Professor Schwintowski, der für einfache Sammelklagen plädiert. Bei den Gruppenverfahren der Verbraucherzentrale treten Kunden Ansprüche ab. »Das ist
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