Die Angstmacher
ERGO-Zentrale auf dem Düsseldorfer Victoriaplatz steht ein Mann, der seinen mit Tätowierungen übersäten Körper in einen schwarzen Joop-Bademantel gehüllt hat. Neben ihm bewegt sich Natascha, eine hübsche junge Frau im Kimono, lasziv und einladend. Die beiden sind von einer ganzen Armada von Presseleuten umgeben. Fotografen drücken ununterbrochen auf Auslöser, Kameraleute filmen. Der Mann gibt ein Interview nach dem anderen. »Wir versprechen den Menschen, was sie wollen«, sagt er. Der Tätowierte heißt Mark Benecke und ist nordrhein-westfälischer Landesvorsitzender von »Die Partei«. »Wenn sie Sex haben wollen, versprechen wir Sex«, sagt Benecke. Später gesellen sich einige Parteifreunde zu ihm und Natascha. »ERGO-Boy, ich hab ein Kind von dir«, hat einer auf ein Schild geschrieben.
Der Satiriker Martin Sonneborn, Bundesvorsitzender der Spaßpartei »Die Partei«, hat via Facebook zu einer Incentive-Party auf den Vorplatz des Versicherungsgebäudes eingeladen. Anlass ist die Pressekonferenz, auf der das Führungspersonal des Versicherers ERGO die Ergebnisse der umfangreichen Aufklärungsarbeiten zu den »aktuellen Vorwürfen« präsentieren will. Es geht um die »Budapest-Affäre«, den Skandal um sexuelle Dienstleistungen für Topverkäufer der Hamburg-Mannheimer International in einer ungarischen Therme, aber auch um falsche Kostenausweise bei Riester-Verträgen und andere Unregelmäßigkeiten zulasten von Kunden.
Schäden, die bei einer Facebook-Massenparty entstehen, sind nicht versichert. Doch das ist es nicht, was die Kommunikationschefs und ERGO-Manager nervös macht. Sie wollen heute einen Schlussstrich ziehen unter »Budapest« und all die anderenunerfreulichen Meldungen. Die öffentlichkeitswirksame Einladung von Martin Sonneborn kommt da denkbar ungelegen. Heute will der Versicherer ein für alle Mal den Dreck abschütteln, mit dem er besudelt ist. Man will nach vorn schauen und über Maßnahmen für die Zukunft sprechen, nicht über die sexuellen Dienstleistungen, die das Unternehmen finanziert hat. Vor der Tür zumindest klappt das nicht. Satiriker Sonneborn selbst kommt zwar zur Enttäuschung vieler Medienleute nicht. Aber der tätowierte Mann im Bademantel unterhält auch nicht schlecht. »Ich habe bei den Landtagswahlen als Ministerpräsident kandidiert«, ruft er in die Mikrofone und noch mal: »Wenn die Leute Sex wollen, versprechen wir ihnen Sex.«
Die Strategen in der Konzernzentrale von ERGO sind schlau. Sie sind Meister der Inszenierung. Das haben sie nicht nur mit ihrer gigantischen Werbekampagne »Versichern heißt verstehen« gezeigt. Das stellen sie auch jetzt unter Beweis. Demonstrativ gelassen reagiert das Unternehmen auf die angekündigte Facebook-Party. Man ist gastfreundlich, sehr sogar. Der Polizeiwagen mit den Beamten, die die Party notfalls in Schach halten sollen, bleibt hinter der massigen Konzernzentrale im Verborgenen. Am Rande des Victoriaplatzes lässt ERGO einen »Versorgungsstand« aufbauen. Sechs sympathische junge Leute, einige in roten T-Shirts mit dem Logo des Unternehmens, bieten Wasser, Apfelsaft und Eis-Sandwiches an. »Wir haben gedacht, es wird warm, und wenn viele Leute kommen, sollen die nicht dehydrieren«, erklärt eine der jungen Frauen einen Hauch zu fröhlich. Doch es wird nicht warm. Schon bald regnet es wieder in Strömen.
Die Gelassenheit, die die ERGO-Führung und das Bodenpersonal zur Schau tragen, wirkt aufgesetzt. So manche Reaktion ist alles andere als cool. Kurz vor der Pressekonferenz hat das Unternehmen einen kleinen Onlinedienst abgemahnt, weil der den Direktversicherer von ERGO eine »Porno-Versicherung« nannte. Das mittelständische Münchener Medienhaus soll 1000 Euro für den anwaltlichen Aufwand zahlen. In der Pressekonferenz darauf angesprochen, gibt sich ERGO-Chef Torsten Oletzky ahnungslos. Er zuckt die Schultern und blickt seinen Pressesprecher Alexander Becker an. Der Kommunikationschef erklärt, man habe diese Verunglimpfung nicht hinnehmen können. Das sei einfach zu weit gegangen. »Es ging um ERGO Direkt im Rahmen eines Kraftfahrt-Ratings«, sagt er, als würde das den Maulkorb rechtfertigen. Auch auf anderen Wegen versucht der Versicherer, Einfluss auf die Medien zu nehmen. Zwei Tage vor der Pressekonferenz hat die Kommunikationsabteilung die Ressortchefs großer Zeitungen zu einem Hintergrundgespräch eingeladen. Das soll nicht an die Öffentlichkeit dringen. Transparenz und Offenheit sind bei diesem
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