Die Angstmacher
erste Satz der Pressemitteilung.
Die Öffentlichkeit gewinnt den Eindruck, dass ERGO die großen Sparten Lebens- und Sachversicherung bündelt und nur bei den Spezialisten Kranken-, Rechtsschutz- und Reiseversicherung an den eigenständigen Marken festhält. Aber so ist das nicht. Zu ERGO gehört auch die Neckermann Versicherung, die aus einem Sach- und einem Lebensversicherer besteht. Von der ist aber nicht die Rede, die wird es weiterhin geben. Letztendlich wird nur die Hamburg-Mannheimer Leben in ERGO Lebensversicherung umbenannt. Damit werden die heftigen Probleme der Victoria Lebensversicherung kaschiert, denn es wirkt so, als würden die Victoria und die Hamburg-Mannheimerzusammengezogen. Die Kapitalanleger der Victoria haben sich schon in der Börsenkrise zu Beginn des Jahrtausends verzockt, davon hat sich das Unternehmen nie richtig erholt. Die Victoria kann Kunden keine attraktive Verzinsung mehr bieten. Über Jahre bringt die Victoria Leben ihren Aktionären keinen Gewinn, also machen die die Gesellschaft für neue Kunden dicht. Das heißt im Branchenjargon »Run off« und bedeutet Abwicklung. Für die alten Kunden ist das nicht schön. Wenn der Versicherer keine wettbewerbsfähigen Konditionen braucht, kann er die Gewinnbeteiligung auf das gesetzlich gerade noch zulässige Minimum drücken. Möglicherweise steigen auch die Kosten, die Kunden abgezogen werden, wenn immer weniger Verträge verwaltet werden. Den Altkunden bleibt trotzdem keine Wahl: Wer kündigt, riskiert herbe Verluste. Im angelsächsischen Raum sind »Run offs« viel üblicher als in Deutschland. Dort gibt es spezielle Abwickler, die für Neukunden geschlossene Bestände übernehmen. Wird der Bestand kleiner, werden die Kosten auf immer weniger Verträge umgelegt – denn verwaltet werden muss auch ein Bestand ohne Neuzugänge. Muss der Lebensversicherer für Neukunden nicht mehr attraktiv sein, zum Beispiel durch eine gute Überschussbeteiligung, ist die Gefahr groß, dass die Guthaben der Kunden schlechter verzinst werden. Mit der plötzlichen Präsentation der neuen Markenstrategie hält sich ERGO öffentliche Spekulationen über diese unschönen Entwicklungen erst einmal vom Hals. Herrn Kaisers Ruhestand und nicht die Abwicklung der Victoria Leben dominiert die Schlagzeilen. Nebenbei wird der Konzern das leidige Problem mit dem irritierenden Namen seines Direktversicherers los. Direktversicherer verkaufen nicht über Vertreter, sondern via Internet, Post und Telefon. Der von ERGO heißt »KarstadtQuelle Versicherungen«. Viele glauben, das Unternehmen habe etwas mit dem pleitegegangenen Arcandor-Konzern zu tun. Das ist ein Irrtum. Der Name rührt aus längst vergangenen Geschäftsbeziehungen, die einst zu dem Warenhaus bestanden. Aber mit einer Mega-Pleite wie der von Arcandor auch nur scheinbar in Verbindung zu stehen, ist nicht gut fürs Geschäft. Da hilft es nichts, dass sich die KarstadtQuelle Versicherungen auf ihrer Internetseite groß und deutlich von ihren Namensvettern distanzieren. Im Zuge der neuen Markenstrategie ist die Gelegenheit günstig. Aus KarstadtQuelle Versicherungen wird ERGO Direkt. Der Rechtsschutzversicherer DAS und die Deutsche Krankenversicherung behalten ihre Namen. »Umfangreiche Werbung zum neuen Marktauftritt wird den Vertrieb unterstützen.« Mit diesen dürren Worten kündigt der Versicherer die gigantische Kampagne an, die im Sommer 2010 über Deutschland hereinbricht. Genau in den Wochen, in denen vor dem Landgericht Hamburg ein Verfahren der Verbraucherzentrale Hamburg gegen ERGO läuft – wegen intransparenter Vertragsklauseln.
Anzeigen in Zeitungen, Werbung im Fernsehen und im Internet, neue Briefköpfe und Schilder für die Agenturen, neue Kostüme für Messehostessen, T-Shirts für Mitarbeiter und noch viel mehr kosten den Konzern allein 2010 schlappe 50 Millionen Euro. Oder, je nach Perspektive, jeden der 20 Millionen ERGO-Kunden in Deutschland 2,50 Euro. »Versicherungen, was ist eigentlich schiefgelaufen zwischen uns?«, fragt der Schauspieler Christian Ströbel, der bald im Volksmund »ERGO-Boy« genannt wird, in dem Auftakt-Spot zur Kampagne. Das fragen sich tatsächlich Millionen von Verbrauchern. Der ERGO-Boy ist bald omnipräsent. »Diesem Gesicht kann niemand mehr entkommen! Ob Zeitung, Fernsehen oder Plakatwand – überall lächelt einem dieser bärtige Mann aus der ERGO-Werbung entgegen«, schreibt die Bild- Zeitungwenige Wochen nach dem Start der Kampagne. 38 Doch nicht die fast
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