Die Angstmacher
Versicherungsvermittler sprechen. Um den Austausch zu realisieren, wird ein Citylight-Poster mit einem Lautsprecher- bzw. Mikrofonsystem, einer Kamera sowie einem Flat-Screen-Monitor versehen«, kündigt ERGO die Aktion an, die in der Berliner Innenstadt stattfindet.
Fehlende Glaubwürdigkeit
Die Auftraggeber ziehen wenige Monate nach Beginn der Werbeoffensive eine sehr positive Bilanz. »ERGO-Werbung wird innerhalb von nur zwei Monaten zur spontan meist erinnerten Werbung im Versicherungsbereich. Die Marke ERGO gelangt innerhalb dieses Zeitraums in den Kreis der Top-5-Versicherungsunternehmen hinsichtlich spontaner Markenbekanntheit. Einen derart starken und schnellen Anstieg der spontanen Präsenz von Kommunikation und Marke gab es bislang in der Versicherungsbranche noch nicht«, sagt David Stachon, Marketing-Leiter der ERGO Versicherungsgruppe AG in einem Interview. 39 Auch das Marktforschungsinstitut YouGovPsychonomics attestiert eine große Wirkung der Kampagne. »Die ERGO Versicherung ist in Sachen Aufmerksamkeitsstärke der Gewinner des Jahres 2010«, heißt es in der Jahresanalyse Markenkommunikation Assekuranz 2010. Zwischen Frühjahr und Winter 2010 konnte das Unternehmen seine Bekanntheit von 11 Prozent auf 63 Prozent steigern, der Direktversicherer von 8 Prozent auf 47 Prozent. Doch damit allein hat es die Marke nach Auffassung der Marktforscher noch nicht geschafft. Denn es mangelt an Glaubwürdigkeit. »Die Ergebnisse zur ERGO-Kampagne belegen, dass die Kernbotschaft viele Versicherungsnehmer sehr positiv anspricht und damit eine hohe Aufmerksamkeit erzeugt. Das sicherlich für viele Verbraucher überraschend ehrliche Beziehungsangebot der ERGO braucht nun Beweise, um Glaubwürdigkeit herzustellen«, resümiert der Leiter der Finanzdienstleistungsforschung des Instituts Oliver Gaedeke.
Doch statt Glaubwürdigkeitsbeweis kommt der Image-GAU. Im Mai 2011 dringt der »Budapest«-Skandal an die Öffentlichkeit. Schlag auf Schlag folgen weitere ernüchternde Meldungen: Riester-Kunden wurden viel zu hohe Kosten abgezogen, Lebensversicherungen sollen nur wegen der Provisionen in Unfallversicherungen überschrieben worden sein, Beschäftigte sollen aus den gleichen Gründen ungünstigere Verträge für Betriebsrentenbekommen haben. Jetzt dreht sich der Versicherer den Effekt der Kampagne so, wie es gerade passt. »Viele Leute haben unsere Marken-Repositionierung im vergangenen Jahr ja gar nicht mitbekommen«, behauptet eine ERGO-Sprecherin in der Süddeutschen Zeitung . 40 Die Imagekampagne wird gebremst. Die dafür geplanten 20 Millionen Euro für 2011 will ERGO aber weiterhin für Reklame ausgeben. Der Konzern reagiert auf die bösen Meldungen. Er spricht Kunden direkt in großformatigen Anzeigen an und »entschuldigt« sich. »Wenn Menschen Fehler machen, entschuldigen sie sich. Wenn Unternehmen Fehler machen, unternehmen sie etwas dagegen. Darum tun wir beides«, heißt es zunächst in der Bild- Zeitung, später auch in anderen Tageszeitungen. Im Internet können Interessierte auf den Seiten von ERGO unter »Fragen & Antworten zu den aktuellen Themen der Vertriebsorganisation HMI« dreizehn Statements anklicken, etwa ob die Werbekampagne »Versichern heißt verstehen« weiterlaufen wird. Wird sie, allerdings wird sie auf verschiedenen Kanälen zurückgefahren. Frage dreizehn lautet: »Hat ›Herr Kaiser‹ persönlich an der HMI-Incentive-Reise teilgenommen?« Hat er nicht, erfährt der wenig erstaunte Leser. Denn Herr Kaiser war schließlich ein reines Kunstprodukt. »Im Zuge der neuen Marken- und Werbestrategie wurde diese Werbefigur nicht mehr eingesetzt«, teilt ERGO mit. »In der aktuellen Berichterstattung wird das Foto von dieser Werbefigur häufig verwendet. ERGO legt deshalb Wert auf die Klarstellung, dass der Schauspieler Nick Wilder, der zuletzt diese Werbefigur verkörperte, nicht an der HMI-Reise nach Budapest im Jahr 2007 teilgenommen hat.« 41 Das festzustellen dürfte nicht allzu schwer gewesen sein. Bei den Details der Belohnungsreise ist das anders. Ein elfköpfiges Team aus der ERGO-Revisionsabteilung hat den Auftrag, alle Vorgänge aufzuklären, bis zu 27 Leute helfen bei Bedarf. Die Revisoren prüfen und prüfen, sprechen mit Teilnehmern der Budapester Sexparty, sichten E-Mails und gehen auf die Suche nach Dokumenten. Nicht alles können sie aufklären. Herausfinden können sie immerhin, dass »nur« 64 statt deranfangs behaupteten 100 Vertreter an der Sexparty teilnahmen, plus zwei
Weitere Kostenlose Bücher