Die Angstmacher
Führungskräfte. Berichte, nach denen die Frauen nach erfolgter Dienstleistung einen Stempel bekommen haben, sollen nicht den Tatsachen entsprechen. Nur sehr wenige Teilnehmer hätten diese Darstellung bestätigt. Andere gaben hingegen an, es habe kein Abstempeln gegeben. Dafür seien Strichlisten geführt worden.
An dem regnerischen Augusttag, an dem Martin Sonneborn zur Facebook-Party eingeladen hat, sind mehr als 50 Journalisten zur Pressekonferenz ins ERGO-Hauptquartier gekommen. Sie warten auf den großen Wurf, eine Art Befreiungsschlag. Aber, so erfahren sie an diesem Vormittag, eigentlich ist im Hause ERGO alles in Ordnung. Als der Vorstandsvorsitzende Torsten Oletzky den großen Tagungssaal im Erdgeschoss am Fuße des Victoria-Turms betritt, ist er sofort von Kameras umringt. Er macht einen demonstrativ gelassenen Eindruck. Einen Mann, der seit Wochen von einer Krise zu anderen stürzt, stellt man sich anders vor. Er wirkt nicht annähernd nervös. »ERGO in der Kritik – Prüfergebnisse und Maßnahmen« steht auf der Tischvorlage für die Journalisten. Torsten Oletzky hat sich – neben dem Kommunikationschef – zwei weitere Männer mit aufs Podium genommen, seinen Finanzvorstand und einen Spezialisten vom Wirtschaftsprüfungsunternehmen PricewaterhouseCoopers (PWC).
Wirtschaftsprüfer schauen sich bei Versicherern normalerweise die Bilanzen an und attestieren, dass alles mit rechten Dingen zugeht. Die Leute von PWC prüften, ob ERGO die Vorgänge um die diversen Skandale richtig untersucht hat. Drei Wochen waren die Spezialisten vor Ort. PWC-Mann Steffen Salvenmoser verteilt Schulnoten. Für die Untersuchung der Budapest-Affäre gibt es eine Eins minus, für die Riester-Sache nur eine Drei. Da gab es Probleme mit der Dokumentation. »Wir haben mit maximaler Offenheit versucht, den Vorwürfen zu begegnen«, versichert Torsten Oletzky. »Wir haben jeden Vorwurf ernst genommen und versucht, zügig aufzuklären.« Gänzlich unakzeptabel sei die Budapester Veranstaltung gewesen, sagter, und das hätten die Organisatoren auch gewusst. Schließlich hätten sie versucht, Spuren zu verwischen. Zum Ablauf der Party will er eigentlich nichts sagen, außer dass einige berichtete Einzelheiten falsch seien. Nur welche, sagt er zunächst nicht. »Details halte ich für irrelevant«, sagt er. Perfide. Wissen die Journalisten nicht, welche der kursierenden Informationen richtig und welche falsch sind, werden die seriösen unter ihnen davor zurückschrecken, künftig überhaupt welche zu erwähnen. Einige Details wird Oletzky auf Nachfrage letztlich doch noch richtigstellen. Unter anderem, dass es keine für die Vorstände reservierten Prostituierten und auch keine per Bändchenfarbe erkennbaren Sexarbeiterinnen gegeben habe. »Doch kein Zweiklassenvögeln bei ERGO«, wird die Berliner taz am nächsten Tag schreiben. 42
Anschließend geht es um die Konsequenzen, die das Unternehmen aus den Skandalen ziehen will. Die Journalisten warten auf eine Art Tabula rasa, auf ein Zeichen des großen Aufräumens. Doch stattdessen gibt es die Präsentation der nächsten Folge der Imagekampagne. Einen Verhaltenskodex gibt es jetzt, und zwar einen verbindlichen. Was geschieht, wenn jemand dagegen verstößt? Von selbstständigen Vertretern kann man sich schnell trennen, sagt Torsten Oletzky dazu nur. Das konnte man schon immer. »Klartext bei Produktunterlagen und Beratungsdokumentation« – dieses Postulat stammt nicht etwa aus der hauseigenen Werbung, sondern ist ein weiterer Punkt des Maßnahmenkatalogs.
Ganz nebenbei offenbart das Unternehmen eine fragwürdige Geschäftspraxis seiner Vertreter. »Kunde hat das Recht des Verzichts auf die Beratungsdokumentation; Gebrauch davon wird von unseren Vermittlern ausdrücklich vermerkt; keine ›Ankreuzlösungen‹!«, heißt es auf der Präsentationsfolie. Damit gelobt der Versicherer, eine skandalöse Praxis abzustellen, mit der auch andere in der Branche gesetzliche Vorschriften zulasten der Kunden umgehen. Der Hintergrund: Versicherungsvermittler müssen Kunden angemessen beraten und das dokumentieren. Dasist seit einigen Jahren gesetzlich vorgeschrieben. Bürger sollen erforderliche und keine unsinnigen Policen verkauft bekommen. Damit später noch nachvollziehbar ist, was der Vermittler im Verkaufsgespräch abgefragt hat, muss er die Inhalte dokumentieren. Das ist aufwändig, aber nötig. Ohne Dokumentation kann der Verbraucher später einen möglichen Fehler des Vermittlers nicht
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