Die Angstmacher
viele aus der Branche. Solange nichts passiert, empfinden sicher nicht wenige Kunden ihr Geld als vergebens ausgegeben. Nur: Wenn etwas geschieht und Verbraucher die Versicherung brauchen, empfinden sie oft das Gleiche – weil der Versicherer nicht zahlt. Das bestreitet die Branche selbstverständlich.
Lange vor ERGO hatte der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft eine Kampagne aufgelegt, bei der ebenfalls »echte« Menschen im Mittelpunkt stehen. »Gut, dass es Versicherungen gibt« ist der Leitslogan. Menschen erzählen in den Spots, was sie in 30 Jahren sein wollen oder was ihnen lieb und teuer ist. Die Dienstleistung Versicherung sollte mit der Kampagne ein Gesicht bekommen. »Verbraucher bewerten ihren eigenen Versicherer gut, aber die Branche insgesamt hat ein schlechtes Ansehen«, sagt Ulrike Pott, Kommunikationschefin des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft. »Wir wollen diese Diskrepanz verringern.« Im Herbst 2011 gat der Verband die Kampagne eingestellt.
Auch die Konkurrenz von ERGO versucht, das eigene Image aufzupolieren und gibt dafür viel Geld aus. Marktführer Allianz zum Beispiel wirbt mit den Geschichten echter Kunden und echter Mitarbeiter. Im Herbst 2010, wenige Monate nach ERGO, startete der blaue Riese aus München reklamemäßig neu durch. »Mit dem Auftritt im neuen Corporate Design beendet der Versicherungsriese seinen werblichen Dornröschenschlaf nach Finanzkrise, Agenturpitch und Selbstfindungsphase«, schrieb H orizont , das Portal für Marketing, Werbung und Medien. 43 Nach Einschätzung des Branchendienstes gibt das Unternehmen dafür einen mittleren achtstelligen Eurobetrag aus, also etwa so viel wie ERGO. Im Mittelpunkt stehen Schicksalsschläge und Unfälle. »Wir zeigen Versicherungsfälle aus dem Leben, denn Erfahrungen sind mehr wert als jede Theorie«, erklärt Bernd Heinemann, Vorstand Marktmanagement der Allianz Deutschland. 44 Den Kunden in der Werbung der Allianz wurde immer geholfen. Im wahren Leben liegen die Dinge anders. Das Kleingedruckte in den Verträgen verhindert oft genug, dass der Verbraucher im Schadensfall auch wirklich Geld sieht.
2. Die Verschleierungstaktiken
D as Kleingedruckte ist eine Plage. Das wissen auch die Versicherer. ERGO versucht, daraus Kapital zu schlagen. Der selbst ernannte Kundenversteher nutzt den Unmut gegenüber Klauseln und Kauderwelsch aus. Er gibt vor, die Bürger mitmachen lassen zu wollen, ihnen die Möglichkeit zum konstruktiven Einbringen ihrer Ideen zu geben. Dazu dient die »Kundenwerkstatt« im Internet. Gute Vorschläge zur Verbesserung von Versicherungen belohnt ERGO mit 50 Euro. »Mit unserem Leitgedanken ›Versichern heißt verstehen‹ haben wir uns vorgenommen, die Wünsche und Bedürfnisse unserer Kunden konsequent in den Fokus zu rücken. Wir wollen besser zuhören und in einen direkten Austausch mit Ihnen eintreten. Denn Ihre Meinung ist uns wichtig! Mit der ERGO Kundenwerkstatt bieten wir Ihnen nun die Möglichkeit, sich aktiv bei Befragungen einzubringen und ein Stück Zukunft mitzugestalten«, bekommt der Nutzer nach der Anmeldung mitgeteilt. Doch Verbraucherfreundlichkeit scheint nicht das einzige Motiv zu sein. Denn das Unternehmen besorgt sich über seine »Kundenwerkstatt« eine ganze Menge kostenloser Informationen: Wie der Nutzer auf die »Kundenwerkstatt« aufmerksam geworden ist, für welche Themen – das heißt: Versicherungsprodukte – er sich interessiert, welche Policen er bereits abgeschlossen hat, ob er bei ERGO Kunde ist, wie er sich über Versicherungen informiert, wie und wo er Policen abschließt und noch viel mehr will ERGO wissen. Auch Persönliches fragt er ab, etwa Geburtsdatum, Schulabschluss, Familienstand und sogar das Einkommen, das allerdings mit der Möglichkeit »keine Angabe«. Wer sich registriert, erhält schnell die erste Einladung zu einer »Befragung« zu einem Themenbereich, für den er bei der Anmeldung Interesse bekundet hat. Von wegen »Kundenwerkstatt«: Das ist nichts anderes alsMarkt- und Meinungsforschung. Das verschweigt ERGO auch nicht auf der Homepage. Allerdings findet sich der Hinweis gut versteckt unter dem Punkt »Was geschieht mit meinen Daten?«.
Wie gut oder wie schlecht eine Versicherung ist, steht im Kleingedruckten. Das ist umfangreich und unverständlich. Es mag Bürokratie-Junkies geben, die ihren Vertrag bis zum letzten Punkt und Komma lesen und sogar die vorher vom Vertreter überreichten Unterlagen durchforsten. So
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