Die Angune (German Edition)
nur ein Kind geschenkt: Kat'ka! Aber dem Mädchen war die Festung egal. Sie zeichnete Schmetterlinge, schnitzte Flöten und sang Lieder. Sie war dazu bestimmt, die Festung zu übernehmen, aber sie schrieb nur Gedichte über dahin jagende Wolken.«
Wieder schwieg der Menelide.
»Wir - meine Frau und ich - hatten oft ... immer Streit mit ihr deswegen. Schlussendlich hasste sie uns so sehr, dass sie die Festung verließ.«
Bedrückt schüttelte er den Kopf.
»Sie ging einfach fort. Kein Wort des Abschieds, kein 'Auf Wiedersehen'. Eines Tages war sie einfach fort.«
Nach einer Weile des Schweigens schaute er auf, sah die rothaarige Frau an, und sagte:
»Bitte, erzählen Sie mir von ihr. Wo lebte sie? Wie ging es ihr?«
»Es tut mir leid, Hoheit, aber viel kann ich nicht erzählen. Ich kannte sie nicht. Ich bin ihr eher zufällig in Rinu'usala b egegnet.«
Die Frau machte eine Pause.
»Sie ....«
»Ja?«
»Also ....«
Die Frau zögerte wieder.
» .... es schien ihr nicht gut zu gehen. Es tut mir leid, Hoheit. Es tut mir so leid, aber der Freitod schien der einzige Ausweg zu sein, den sie noch hatte.«
Die Frau sprach diese Worte, doch sie wusste nicht ob der Menelide ihr überhaupt noch zuhörte. Er schien mit seinen Gedanken in einer anderen Welt zu sein. Er wischte nicht einmal die Tränen ab, die ihm über die Wangen liefen.
Jetzt verlor auch die Frau die Beherrschung. Hastig raffte sie ihre Sachen zusammen und verließ fluchtartig die Sippenhalle.
»Wer bist du?«, rief Symath Sym'ka Hornstein vom Wac hturm Nummer drei.
Am späten Abend des 56. Tages im 3. Sternenhaus war u nten am Tor ein in Leder gekleideter Jäger der Grauelben aufgetaucht. An seiner linken Hüfte baumelte ein Köcher mit Pfeilen, und auf der rechten Seite steckte ein Bogen verkehrtherum bis zur Hälfte in einem nachtschwarzen, nach unten offenen Futteral, das mit weißen Verzierungen geschmückt war. Ein längliches Paket - wahrscheinlich weitere Pfeile - trug er schräg über den Rücken gebunden.
Der Menelide Symath Sym'ka Hornstein kannte sich als e rfahrener Jäger und Bogenschütze gut aus mit allen Arten von Bögen, aber einen solchen Bogen hatte er noch nie gesehen. An einem reichverzierten weißen Griffteil waren zwei nachtschwarze Wurfarme angesetzt, die sich an den Enden kreisrund nach vorne bogen.
»Mein Name ist Chinato'Oral, vom Volk der Grauelben. Ich bitte dringend um einen Empfang durch den Fürsten!«, rief der Ankömmling unten am Tor.
»In der Herberge bist du willkommen, Jäger vom Volk der Grauelben. Aber unser Herr wird dich nicht empfangen.«
»Warum nicht?«
»Unser Herr ist krank und kann niemanden empfangen.«
»Bitte stellt ihm aus, dass es sehr, sehr dringend ist. Ich ve rfüge über Information, die wichtig für ihn sind. Ein unbekanntes Kriegsheer naht von fern!«
»Ich werde sehen was ich für dich tun kann. In der Zw ischenzeit wirst du in der Herberge warten müssen. Öffnet das Tor!«
Innen im Torhaus wurden die schweren Sperrbalken zur Seiten geschoben, ein Torflügel öffnete sich knirschend und Chinato'Oral wurde Einlass gewährt.
Als der Waldläufer am Getreidespeicher vorbei ging, leuchteten im Gebälk des Vordaches zwei schwarze Augen voller Wut. Der Dunkelalb Sagramit Alzamki hatte beim ersten Blick das dunkle Futteral mit dem Bogen erkannt, das an der Seite des Jägers baumelte. Es war ein Kriegsbogen der Dunkelalben!
Die Bergziege hatte die Waffe eines Assassinen angefasst und entehrt!
Die Assassinen der Dunkelalben erlaubten niemals, dass ein anderer ihre Waffen anfasste, nicht einmal der eigene Vater, oder ein Gefährte. Das konnte nur bedeuten, dass der Jäger die Leiche eines Assassinen gefleddert hatte!
Und dafür würde er hunderttausend Tode sterben!
Sagramit Alzamki musste sich beherrschen. Er hatte seinem Vater bei seiner Ehre und bei seinem Leben versprochen, dass der ihm anvertraute Auftrag so wie geplant durchgeführt und durch nichts gefährdet würde. Wäre der Assassine nicht durch dieses Versprechen gebunden, er wäre sofort aus dem Gebälk heruntergesprungen und hätte den Jäger bis zum Morgengrauen im Getreidespeicher bei lebendigem Leibe langsam gehäutet, als Bestrafung für den Frevel den er an einem anderen Assassinen begangen hatte.
Aber das war unmöglich! Er wollte das, seinem Vater geg ebene Versprechen nicht brechen.
Aber er konnte etwas anderes tun.
Sagramit Alzamki hatte den Befehl erhalten, den Mord an der Sonnenraupe so aussehen zu lassen,
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