Die Angune (German Edition)
hellen Haare in jeder Hinsicht unter Kontrolle. Außerdem bedeckte die Cagoule sein Gesicht und verschleierte sämtliche Gefühlsregungen, die ihn unter Umständen verraten konnten.
Eigentlich entsprach diese Vermummung nicht seinem W esen, aber die Ethik der elitären Kaste der Assassinen verlangte es so. Er selbst liebte es, erkannt zu werden. Ob auf dem Schlachtfeld oder in der Arena, seine Feinde sollten wissen, dass es Sagramit aus der Alzamki-Dynastie war, der sie bekämpfte. Und so hatte er es sich zur Angewohnheit gemacht, die von der Cagoule freigelassenen Augenbereiche zu färben. Er hatte eine intensiv violette Schminke aufgetragen, denn Violett war seine Lieblingsfarbe.
Violett war nicht nur die Farbe des Lichtbringers, des So hnes der Erdgöttin Tellia. Violett war eine geheimnisvolle Farbe, die seine Phantasie anregte. Von dieser extravaganten Farbe ging etwas Mystisches aus, aber auch düstere Schönheit. Wenn man daimonisches Violett mit Schwarz, der Farbe der Finsternis, kunstvoll in Szene setzte, entstand eine Komposition, die an Würde und Eleganz nicht zu überbieten war.
Aber das i-Tüpfelchen in einem solchen Bild war eine kle ine Skulptur aus einem schneeweißen und blankpolierten Elfenknochen. Ganz fein ziseliert, lieferte sich die gebrechliche Skulptur den düsteren Farben, die sie umgaben, vollkommen aus und baute eine solche Spannung auf, dass ein Betrachter den Anblick fast nicht ertragen konnte: sehnsuchtsvoll wünschte er sich den Moment herbei, wo die zarte Knochenskulptur von den übermächtigen Farben der Finsternis explosionsartig pulverisiert werden würde.
Der Assassine blinzelte mehrmals mit den Augen und ve rsuchte das Bild, das vor seinem geistigen Auge entstanden war, wieder loszuwerden. Es störte seine Konzentration. Wenn er wieder zu Hause in Dar'a Quatan war, würde er versuchen eine solche Komposition zu schaffen, und sich voll und ganz der Erregung hinzugeben. Heute Nacht aber musste er solche Gedanken aus seinem Kopf verbannen. Sie würden ihn nur ablenken. Für heute Nacht musste er sich tief, ganz tief auf die gedankliche Ebene eines Raubtieres hinabsenken, und sich ausschließlich auf seine Beute konzentrieren. Er streckte kurz Schultern und Nacken und versuchte seine Sitzposition zu verbessern.
Der eitle Sagramit legte viel Wert auf ein tadelloses Auss ehen und mochte es, einem Feind mit nacktem Oberkörper anzugehen. Dadurch, dass er auf jeglichen Schutz verzichtete, setzte er ein Zeichen seiner Überlegenheit und konnte im Kopf seines Gegners - noch vor dem ersten Schwertstreich - die Saat des Zweifels ausbringen.
Aber die feuchte Kälte hier oben machte ihm zu schaffen! Deshalb hatte er für die kommen de Nacht ein kurzes Unterhemd aus feiner, warmer Lamawolle übergeworfen. Darüber trug er ein gegürtetes Hemd aus weichem Leder, in das schwarzes Wachs einmassiert worden war, um die Wassertropfen abperlen zu lassen.
Der Assassine fürchtete weder Kälte noch Feuchtigkeit, aber er wollte weder kalt werden, noch dass eine dünne, nasse Tunika, die an seinem Körper klebte, seine Bewegungen hemmte. Heute Nacht benötigte er seine ganze Gewandtheit, denn er wollte eine feine Darbietung der Kunst des lautlosen Tötens bieten. Sowohl sein Geist, als auch sein Körper mussten auf die kommenden Stunden gut vorbereitet werden, und klamme Muskeln waren fehl am Platz, wenn ein halbes Dutzend Sonnenraupen kunstvoll hingerichtet werden sollten. Er würde lautlos hinter jedem einzelnen Opfer auftauchen und ihm ganz leise seinen Namen ins Ohr flüstern. Wenn die Sonnenraupen in die Anderwelt übersiedelten, sollten sie dort den Namen desjenigen verbreiten, der sie getötet hatte. Das war ihm wichtig! Und danach würde er jedem mit einem schnellen, schmerzlosen Schnitt die Halswirbelsäule durch trennen.
Nur der grauen Bergziege, die den Bogen eines Assassinen geschändet hatte, würde er nicht erlauben in die Anderwelt überzugehen. Sie würde einen grauenvollen Tod sterben - in der Gewissheit, dass Sagramit ihr Herz herausreißen würde, um es an die Hunde zu verfüttern. Er würde die Bergziege dazu verdammen, als Untoter die Eingeweide von Ersoh auf immer und ewig zu durchwühlen.
Seine beiden Ruthenier-Säbel steckten über Kreuz in zwei Rückenscheiden. Sie waren nur für den Notfall gedacht, falls er unerwartet in Zweikämpfe mit den Wachen verwickelt werden würde. Ruthenier-Säbel waren wegen ihrer Krümmung schlechte Stichwaffen, und wegen ihre r dünnen,
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