Die Anklage - Ellis, D: Anklage - Breach of Trust
nachmittags klingelte mein Telefon, und kurz darauf war klar, dass ich zumindest die Chance haben würde, die Wahrheit herauszufinden. Der Gouverneur wollte sich mit mir treffen, wenn er heute Abend um neun in die Stadt zurückkehrte.
90
Der F-Bird in meiner Jacketttasche fühlte sich federleicht an, als ich den Aufzug im Ritz-Carlton betrat. Das erste Mal hatte ich den Miniaturrekorder damals in Charlie Ciminos Büro bei mir getragen. Es hatte sich merkwürdig angefühlt, so als würde ich vor einer versteckten Kamera agieren – ich war übervorsichtig, unsicher, nervös gewesen. Aber nach einer Weile hatte es sich so selbstverständlich angefühlt wie das Tragen einer Uhr, wie ein weiteres Kleidungsstück, das man morgens anlegte. Ich war so gut im Vortäuschen geworden, dass ich manchmal kaum noch wusste, wie sich der Normalzustand anfühlte.
Als sich nun der Aufzug im obersten Stockwerk öffnete, wurde ich plötzlich nervös. Ich war mir nicht sicher warum, schließlich waren diese Auftritte inzwischen Routine für mich. Hing es vielleicht damit zusammen, dass die ganze
Operation in ihre Endphase trat? Wohl eher nicht. Der Unterschied lag vor allem darin, dass mir etwas am Ausgang dieses Treffens lag.
Ich nickte den Wachleuten zu, die vor der Suite des Gouverneurs postiert waren. Bill Peshke öffnete mir die Tür und drückte mir ein Dokument in die Hand – eine Presseerklärung. »Ich möchte, dass Sie kurz drüberschauen. Wir geben das in einer halben Stunde raus. Und hören Sie«, fügte er hinzu und suchte mit ernster Miene meinen Blick, »wir können bei dieser Sache kein Drama gebrauchen. Okay?«
Ich hatte keine Ahnung, was er damit meinte, und mein Gesichtsausdruck musste ihm das verraten haben.
»Das bedeutet, die Entscheidung ist gefallen und niemand will die Sache jetzt noch mal aufrollen«, fuhr Pesh fort. »Der Gouverneur muss sich auf andere Dinge konzentrieren. Wir stehen kurz vor den Vorwahlen und er muss klar bleiben. Ich will nicht, dass er sich die ganze Nacht den Kopf darüber zermartert.«
Ich konnte mir nicht vorstellen, dass sich der Gouverneur über irgendetwas den Kopf zermarterte, schon gar nicht über Antwain Otis. Nachdem ich die Presseerklärung überflogen hatte, erklärte ich Pesh, dass sie faktisch richtig war und die Namen und die persönlichen Daten von Otis’ Opfern stimmten.
In einer Ecke der Suite arbeiteten ein paar Techniker an einem Telefon. Ein Mann in blauem Overall erklärte Madison Koehler und Gouverneur Snow etwas. »Die Anlage funktioniert jetzt«, sagte er. Er deutete auf das schwarze Telefon in der Ecke der Suite. »Dieses Telefon ist direkt mit der Kammer verbunden. Sie heben einfach den Hörer ab und wählen eine Null, Herr Gouverneur. Nur die Null. Dann wird das
rote Telefon in der Kammer klingeln. Der Gefängniswärter wird abnehmen.«
Der Techniker wählte eine Nummer auf seinem Handy. »Okay, wir sind bereit für einen Test. Okay.« Er legte auf. Dann marschierte er hinüber zu dem schwarzen Telefon, drückte einen Knopf – vermutlich die Null – und lauschte in den Hörer. »Okay, alles klar? Hier an diesem Ende ist alles in Ordnung. Gib mir mal die Uhrzeit. Okay, neun Uhr, sechs Minuten und zweiunddreißig Sekunden. Gut. Wir sind synchron. Danke.«
Der Techniker stellte eine Uhr neben das schwarze Telefon auf dem kleinen Tisch. »Diese Uhr ist mit der Hinrichtungskammer in der Marymount Strafanstalt synchronisiert. Wenn es auf dieser Uhr zwölf Uhr Mitternacht ist, dann ist es auf der Uhr in der Hinrichtungskammer ebenfalls zwölf Uhr Mitternacht. Bis auf die Sekunde genau.«
Ich kontrollierte meine Uhr. Auf meiner war es neun Uhr sieben, also stimmte sie so ziemlich mit der offiziellen Uhrzeit überein.
»Noch irgendwelche Fragen, Herr Gouverneur? Ms. Koehler? «
»Kann ich mir über das Telefon auch eine Pizza bestellen? « Der Gouverneur klopfte dem Mann auf den Rücken. »Schlechter Scherz. Nein, alles klar so weit. Wie war noch mal Ihr Name?«
»Craig.«
»Gute Arbeit, Craig. Danke für Ihren Einsatz.«
Die übrigen Anwesenden – Madison, Charlie, Hector, Mac und Pesh – schwiegen, während die Techniker die Suite verließen.
Der Gouverneur drehte eine Runde im Raum, dann bewegte
er sich auf das schwarze Telefon zu, jedoch ohne ihm zu nahe zu kommen, fast so, als ob es unter Quarantäne stünde. »Jesusmaria.«
Er blickte zu Madison. Zum ersten Mal sah ich ihn heute Abend von nahem. Er hatte immer noch diese auf Hochglanz
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