Die Anklage - Ellis, D: Anklage - Breach of Trust
Wohnblock.«
Interessant. Möglicherweise eine neue Verbindung. »War er erfolgreich? Der Protest?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich kann mich nicht mehr erinnern. Es ist schon ein paar Jahre her. Ich weiß nur noch, dass Ernesto diesen Cimino nicht mochte. Er hatte wohl das Gefühl, dass er andere ausnutzt.«
Ich machte mir im Geiste eine Notiz. Okay, weiter.
»Ernesto hatte immer noch Freunde in seiner alten Gang«, sagte ich.
Sie nickte. »Ein ›vorübergehender Waffenstillstand‹.«
»Wie bitte?«
»So bezeichnete er seine Beziehung zu den Gangs. Zu den Lords und den Cannibals. Er hat versucht, ihnen Mitglieder abspenstig zu machen. Er wollte den Kids eine Alternative bieten. Dadurch war er eine Bedrohung für die Gangs, in einem ganz realen Sinn. Aber er hat es geschafft, mit ihnen auszukommen. Er kannte sie. Er war mit ihnen befreundet. Er mochte sie. Ein paar von den Jugendlichen hat er unterrichtet. «
Ich dachte an den Tag zurück, an dem ich Ernesto im Liberty Park mit der Zwangsvorladung unter Druck gesetzt hatte. Der Tag, an dem er getötet worden war. Die zwei Gangmitglieder, die bei ihm gestanden hatten. Beide hatten das Tattoo eines winzigen Dolchs auf ihrem Oberarm, das Zeichen der Latin Lords.
»Da stand ein Kerl mit ihrem Mann zusammen im Liberty Park«, sagte ich. »Etwa eins achtzig, breite Brust. Er trug einen Kinnbart. Und er hatte eine lange Narbe auf der Stirn.«
Anfänglich schien ihr nichts davon etwas zu sagen – was
wenig überraschend war –, bis ich die Narbe auf der Stirn erwähnte. Ihr Blick richtete sich in die Ferne. Dann nickte sie. Offensichtlich wusste sie, wen ich meinte.
»Ich möchte mit diesem Mann reden«, sagte ich.
Nach dem Lunch fuhr ich ins Büro. Ich schrieb ein paar Anträge und bereitete mich auf einen Gerichtstermin am nächsten Tag vor. Die meisten neuen Aufträge waren zivilrechtlicher Natur, was ich Charlie Cimino zu verdanken hatte. Zivilrechtliche Prozesse unterscheiden sich von strafrechtlichen Prozessen – und zwar in erster Linie dadurch, dass sie todlangweilig sind. Jede Menge Papierkrieg. Man bereitet sich vier, fünf Jahre lang auf eine Verhandlung vor. Nicht mein Stil. Aber immerhin war es juristische Tätigkeit, und sie bezahlte vorläufig meine Rechnungen.
Vorläufig. Bis der US-Staatsanwalt seine Ermittlungen beendet hatte, um mit allen möglichen Anklagen um sich zu werfen. Einschließlich einer für mich, wie Christopher Moody versprochen hatte. Was faktisch das Aus für meine juristische Laufbahn bedeuten würde.
Ich brachte etwas Arbeit mit nach Hause und ging ein paar juristische Fachtexte durch. Außerdem dachte ich an Madison Koehler. Besser gesagt, ich dachte an Sex. Der schlafende Riese – bildlich gesprochen – war erwacht, und jetzt verlangte er nach mehr. Wobei ich mir nicht sicher war, ob es mir um die pure körperliche Befriedigung ging oder einfach um das Gefühl, noch am Leben zu sein.
Irgendwann schlief ich auf dem Zweiersofa ein. Mitten in der Nacht schreckte ich aus einem feuchten Traum hoch. Seidene Laken, schweißnasse Körper, sanftes Stöhnen und anzügliches Lachen. Seltsamerweise war die Frau in dem Traum Ernesto Ramirez’ Frau.
49
Am nächsten Morgen rief mich Essie Ramirez an und hatte eine Information für mich: Sie nannte mir einen Ort, wo ich den Kerl mit der Narbe und dem Kinnbart treffen konnte, den ich ihr beschrieben hatte. Kein Name. Nur ein Ort.
Bei dem Ort handelte sich um ein Lokal namens Su Casa auf der Southwest-Side. Der Adresse nach zu schließen lag es mitten in dem von den Latin Lords beanspruchten Territorium.
Gegen halb sechs traf ich in der Gegend ein, genau zur angegebenen Zeit. Es war bereits dunkel, passend zu einem solchen voraussichtlich heimlich stattfindenden Treffen. Ich parkte weniger als einen Block entfernt und betrat pünktlich das Lokal. Su Casa war ein kleiner Laden, in dem es nach gegrillten Steaks und gerösteten Zwiebeln roch. Auf dem kleinen Fernseher oben in der Ecke lief ein Fußballspiel. Mein Blick wanderte die senfgelben Wände entlang, doch niemand schien groß Notiz von mir zu nehmen. Schließlich trat eine junge Frau, die hier wohl arbeitete, auf mich zu. »Mr. Kol-AR-ich?«, fragte sie zögernd.
Nicht ganz. Die Betonung lag auf der ersten Silbe. Kola, wie das Getränk. »Kolarich«, verbesserte ich sie, doch die richtige Aussprache meines Namens schien sie nur wenig zu interessieren. Sie führte mich hinter die Theke, wo ein paar Pfund carne asada,
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