Die Anklage - Ellis, D: Anklage - Breach of Trust
Lokal war schlecht besucht. Mit der Wirtschaft ging es weiter bergab. Die Menschen machten sich Sorgen.
Das Wetter passte zur allgemeinen Stimmung im Land. Es war ein typischer Februar im Mittleren Westen, kalt, feucht und trübe. Seit Wochen war kein Schnee mehr gefallen, aber schmutzige Eisflächen überkrusteten Gehwege und Straßen. Als ich den Laden betrat, wäre ich fast gestürzt. Alles war ein bisschen schwieriger in dieser Jahreszeit.
Als sie hereinkam, erkannte ich sie zuerst nicht wieder. Sie trug eine dieser dicken Daunenjacken in Hellblau und eine farblich dazu passende Pudelmütze. In vieler Hinsicht sah sie aus wie ein kleines Kind.
Aber sie war kein kleines Kind. Sie war eine Witwe. Sie hatte selbst zwei kleine Kinder. Und meinem letzten Wissensstand zufolge war sie arbeitslos.
»Wie geht es Ihnen?«, fragte ich. Ich hasse solche SmallTalk-Eröffnungen, aber es interessierte mich wirklich.
Nach allem, was ich über Essie Ramirez wusste, spielte sie nicht gerne die Mitleidskarte aus. Sie lächelte bitter, als wollte sie mir eine ernsthafte Antwort geben, schien es sich dann aber anders zu überlegen. »Ich hatte schon bessere Tage«, erwiderte sie. »Und Sie? Waren Sie erfolgreich bei Ihrer Suche?«
»Ich mache Fortschritte.«
Wir bestellten Kaffee und nahmen das Tagesmenü.
»Ich habe ein paar Fragen«, erklärte ich ihr.
Sie legte ihre Hände um die Kaffeetasse. Ihr junges Gesicht wirkte abgehärmt und müde, sie hatte ein feines Netz von Falten um die Augen und auf der Stirn. Sie war erschöpft und ausgelaugt. Für mich war es auch nicht gerade die beste Zeit meines Lebens, aber wenigstens hatte ich Geld und musste nicht zwei kleine Kinder ernähren und aufziehen.
Sie blickte zu mir auf.
»Sie haben gesagt, ich hätte bei Ihrem Ehemann einen Fortschritt erzielt«, begann ich. »Ich hätte ihn davon überzeugt, mir von dem zu erzählen, was er wusste.«
»Ja, zumindest dachte ich das.«
»Aber dann kam er eines Abends nach Hause und sagte: ›Die Wahrheit spielt keine Rolle‹ und ›Die Sache ist es nicht wert, dass man dafür ins Gefängnis geht‹. Äußerungen in dieser Richtung?«
»Ja.«
»Warum ›Gefängnis‹? Warum sollte er befürchten, ins Gefängnis zu müssen?«
Sie nahm einen Schluck Kaffee und kostete ihn aus. Es war tatsächlich ein erstaunlich guter Kaffee für ein Diner. Heiß, schwarz und aromatisch.
Ich mochte Essie. Bei ihr lief es wahrlich nicht besonders, dennoch bewahrte sie eine ruhige Würde. Sie beschwerte sich nicht und hob beim Reden nicht die Stimme. Außerdem musste ich zugeben, dass sie attraktiv war. Große, glänzende braune Augen, lange Wimpern, ein kleines wohlgeformtes Gesicht. Ernesto hatte eine gute Wahl getroffen.
Sie starrte mich einen Moment lang an. »Fragen Sie mich, ob mein Mann in etwas Illegales verwickelt war?«
»Ja.«
»Dann formulieren Sie es auch so.«
Eine weiterer Zug, der mir an ihr gefiel. Sie war ehrlich und direkt. Unseren wenigen Gesprächen konnte ich entnehmen, dass sie keinen Sinn für hohles Geschwätz hatte.
»War Ihr Ehemann in etwas Illegales verwickelt?«
»Die Antwort ist nein.«
»Glauben Sie, Sie hätten davon gewusst? Sie haben mir erzählt, dass er seine Beschützerrolle sehr ernst genommen hat. Auf fast altmodische Art. Da hätte er vermutlich über bestimmte Dinge gar nicht gesprochen.«
»All das habe ich bereits bedacht, als ich Ihnen geantwortet habe. Ich kannte ihn besser als irgendjemand sonst. Ich hätte es gewusst.«
Ich glaubte ihr. Sie hätte es bestimmt gespürt, wenn ihr Ehemann irgendetwas im Schilde geführt hätte, auch wenn er es vor ihr zu verbergen versucht hätte. Und das wollte etwas heißen, denn meiner Erfahrung nach ist die Bereitschaft der Menschen, sich täuschen zu lassen, schier grenzenlos.
»Hat Ihr Ehemann je einen gewissen Joseph Espinoza erwähnt? Oder Joey Espinoza?«
»Nein.«
»Hector Almundo?«
»Nein.«
»Charlie Cimino?«
Aller guten Dinge sind drei. Bei diesem Namen stutzte sie. »Doch, den hat er erwähnt«, sagte sie. »Ihm gehörten ein paar abbruchreife Mietshäuser, glaube ich. Ein Slumlord.«
Konnte durchaus sein. Charlie war ein Immobilienentwickler. Bisher hatte ich zwar vermutet, dass er hauptsächlich Geschäfte mit Gewerbeflächen machte, aber warum sollte Charlie nicht auch Mietshäuser besitzen?
»Mein Mann hat an Protesten teilgenommen. Er hat sie
nicht angeführt, aber er hat mitgemacht. Es ging um die Mieten in einem
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