Die Ankunft
Foto im Kleinformat herausnehmen konnte. Alexa fischte eines heraus und hielt es mir hin. Darauf war ein muskulöser Blonder, der sich ein weißes Hemd halb heruntergezogen hatte. Sein langes Haar hatte er im Nacken zusammengebunden, und er schaute mit verführerischem Blick in die Kamera.
„Suche Mann mit Pferdeschwanz, Frisur egal“, lästerte Alexa. Wir prusteten und gackerten wie die Schulmädchen, bis sich uns auf klappernden, hohen Absätzen eine vielleicht vierzigjährige Frau näherte. Mit ihrem gediegenen Aussehen, der dezenten Schminke und dem eleganten Hosenanzug musste sie die Inhaberin sein.
„Sie sind Anna, die unser Herr Müller empfohlen hat? Freut mich. Ich bin Frau Zeitler, die Agenturchefin.“
Wir gaben uns die Hand, dann trat sie einen Schritt zurück und musterte mich von oben bis unten.
„Sehr gut. Ich denke, daraus können wir etwas machen. Sie sind ein guter Typ, schlank, blond, symmetrisches Gesicht... Haben Sie schon einmal Fotos gemacht?“
„Nur im Freundeskreis.“
„Nun, macht nichts. Wir werden sehen, wie Sie sich vor der Kamera bewegen. Schuhgröße?“
„Äh... vierzig.“
„Gut. Einen Augenblick.“
Sie brachte mir schwarze High Heels. Bleistiftdünne, zwölf Zentimeter hohe Absätze. Alexa machte runde Augen.
„Hör mal, nicht dass du dir noch die Knochen brichst!“
„Keine Sorge. Ich kann auf solchen Absätzen laufen.“
Ich tauschte meine Sneaker gegen die Heels und ging unter dem prüfenden Blick der Agenturchefin einige Male auf und ab. Das war ein Teil des Ganzen, den ich vergessen hatte: die Fleischbeschau. Die prüfenden Blicke auf meine Beine, meinen Po, meine Brüste, die Art, wie ich meine Hüften bewegte, den Kopf hielt, die Arme beim Gehen mitnahm. Beinahe bereute ich meinen Entschluss, als das Urteil der Chefin kam und mich versöhnte.
„Super. Sie bewegen sich hervorragend. Ich werde Sie für Laufsteg-Aufträge vormerken, wenn Sie möchten. Ein paar Fotos hätte ich gerne noch von Ihnen. Wir suchen derzeit noch unverbrauchte Gesichter für einen Jung-Designer.“
Sie rief nach einem Jens, der sich als Fotograf herausstellte, ein dünner, junger Mann mit schütterem Haar, das er zu einem Pferdeschwanz gebunden hatte. Alexa prustete unterdrückt und fächelte sich mit der Fotokarte des pferdeschwänzigen Models Luft zu, während ich versuchte, ernst und professionell zu wirken.
Ich hatte mich vorbereitet. Mit meiner schmalen Jeans, dem ärmellosen Shirt und der Bluse darüber konnte ich mich gut fotografieren lassen. Jens nahm mich mit in den Nebenraum, wo es eine weiße, freie Wand gab. Dort ließ er mich posieren und begann zu knipsen.
Ich hatte es seit dem letzten Shooting vor vierzig Jahren nicht verlernt. Ich spielte mit der Kamera, flirtete, gab mich sinnlich, sexy, unschuldig, unnahbar, wild, spielte mit meinen Haaren, zeigte Schulter, stemmte die Hände in die Hüften, spulte alles ab, was mir so einfiel und hatte eine Menge Spaß dabei.
Jens war vor Begeisterung kaum zu bremsen. Er hatte einen breiten hessischen Dialekt, der ihn aber nicht daran hinderte, mit seinen Fremdsprachenkenntnissen zu brillieren.
„Manifique! Süper! Gorgeous! Yeeesss, do it again, jaaa, genau so, und schau zu mir, bellissima!“
Wir vergnügten uns vielleicht zehn Minuten, während Alexa von der Tür aus zusah. Dann beugten wir uns alle über den Laptop, um die Ergebnisse anzusehen. Auch Frau Zeitler hatte sich wieder eingefunden.
„Bissche oldschool“, sagte Jens. „So wie die Mädsche in den Sechzigerjahren posiert haben. Manchmal fehlt der moderne Look.“
„Stört mich nicht“, verfügte die Chefin. „Ihren Look können wir verändern, und ein paar Posen lernt sie ganz schnell. Nicht wahr, Anna?“
Gegen eine Veränderung hatte ich nichts einzuwenden.
„Dann möchten Sie mich in die Kartei aufnehmen?“
„Mehr noch. Ich möchte Sie direkt beim Designer für ein Shooting vorschlagen. Sie haben tatsächlich noch nie gemodelt?“
„Nein.“
„Dann sind Sie ein Naturtalent. Glückwunsch. Wenn Sie möchten, können Sie eine steile Karriere machen.“
„Das klingt toll. Ich habe da nur noch eine Frage... Ich möchte nicht gerne meinen echten Namen verwenden. Könnte ich mir nicht einen Künstlernamen zulegen? Ich studiere noch, wissen Sie, und würde das Modeln gerne von meinem späteren Berufsleben trennen.“
„Aber selbstverständlich. Denken Sie sich etwas aus.“
„Danke. Werde ich tun.“
Ich unterschrieb den Agenturvertrag,
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