Die Ankunft
von Rheinbergs Kameraden waren sich nicht zu schade, den Klassenunterschied durch allerlei abfällige Bemerkungen zu betonen. Rheinberg hatte dafür nie Verständnis gehabt und sich immer um ein gutes Verhältnis bemüht, wenngleich er als einfacher Leutnant bei der Schiffsführung selbst über einem altgedienten Oberingenieur stehen würde. Der größte Standesunterschied wurde in der Erteilung des Heiratsdispenses deutlich: Während Seeoffiziere die Erlaubnis zur Eingehung einer Ehe direkt von Seiner Majestät erhielten, wurde der Dispens für Marineingenieure durch höhere Kommandostellen erteilt. Es gab kein deutlicheres Zeichen für die gesellschaftliche Trennung zwischen den beiden Gruppen und schon lange drängten die Ingenieure, dass auch für sie der kaiserliche Dispens Gültigkeit erlangen sollte. Wie man hörte, war der Kaiser dem Wunsche durchaus gewogen, doch die Admiralität, allen voran der Flottenchef Tirpitz, war dagegen.
Rheinberg mischte sich in derlei nicht ein. Er war als Erster Offizier für das einwandfreie Funktionieren der Mannschaft verantwortlich, und nichts war für ein technisch so komplexes Gebilde wie einen Kleinen Kreuzer wichtiger als eine funktionierende Truppe im Maschinenraum und dort vor allem Offiziere, die sich darauf verlassen konnten, von der Schiffsführung anständig behandelt zu werden. Und exakt das gedachte Rheinberg zu tun.
Es mochte damit zusammenhängen, dass er selbst des Öfteren Opfer von Hänseleien und abfälligen Bemerkungen gewesen war. Er war bürgerlicher Herkunft, und obgleich kein Offizierskorps so bürgerlich war wie das der Marine, hatte das runde Fünftel von adeligen Söhnen nach wie vor in vielem Vorrang, insbesondere im Ansehen. Er hatte es nicht so schlimm getroffen wie jene Kameraden, die nicht einmal einen alten Kavallerieoffizier als Vater gehabt hatten. Sein Stubenkamerad Valentin, mit dem er zusammen als Seekadett gedient hatte, war Sohn eines Kaufmanns gewesen. Niemand wurde mit mehr Verachtung gestraft als ein »Koofmich«. Valentin hatte die Marine ein Jahr nach seiner Beförderung zum Leutnant verlassen und ein Studium begonnen. Rheinberg konnte es ihm nicht verübeln.
Er selbst hingegen war schon als Oberleutnant an Bord der Saarbrücken gekommen und hatte als Erster Offizier bereits einige Geschwaderübungen auf der Nordsee mitgemacht. Die meiste Zeit über hatte das Schiff jedoch im Hafen gelegen und war er mit Verwaltungskram beschäftigt oder auf Kursen gewesen …
Der Wachtposten vor dem Zugang zum Deck der Saarbrücken nahm Haltung an, als er Rheinberg erkannte. Es sprach für den Matrosen, dass er den Offizier erst an Bord ließ, nachdem er dessen Ausweis geprüft hatte. Rheinberg nickte ihm anerkennend zu, dann stand er auf dem nassen Stahldeck und schloss für einen Moment die Augen. All der Ärger, alle Grübeleien fielen von ihm ab. Er vergaß Karl und seine Schwester und die Tatsache, dass er diesen Rang und diese Position zwei Jahre später als andere Kameraden seines Jahrganges bekommen hatte. Er war hier, er war jetzt, und er war dort, wo er hingehörte.
»Herr Korvettenkapitän?«
Rheinberg öffnete die Augen und sah in das runde Gesicht von Marineoberstabsarzt Dr. Hans Neumann, dem leitenden Mediziner des Schiffes. Neumann war in allem das Gegenteil Rheinbergs. Wo dieser hochgewachsen und drahtig war, neigte jener zur Fülligkeit. Wo dieser mit seinem schmalen Gesicht und seiner scharfen, dünnen Nase eine Atmosphäre von Strenge verbreitete – manchmal auch ohne dies zu wollen –, verströmte Neumann Gemütlichkeit und Jovialität. Und wo Rheinberg die maßgeschneiderte Uniform passte wie angegossen, schien sie Neumann immer entweder zu groß oder zu klein zu sein.
Rheinberg hielt endlos viel von diesem Mann. Er war ein begnadeter Arzt und war in den letzten sechs Monaten zu einem Freund geworden. Er hatte ihm geholfen, zu lernen, wann Rigidität ein Ende hatte und wo ein nettes Wort, etwa im Umgang mit den Mannschaften, weiterhalf. So etwas lernte man in der Ausbildung nicht. Man lernte es oft nicht einmal als junger Offizier. Manche überdeckten ihre Unsicherheiten, indem sie zum Leuteschinder wurden. Als Oberleutnant war Rheinberg auf dem besten Wege dorthin gewesen. Dr. Neumann hatte ihn gerade noch vor diesem Irrtum bewahrt, und Jan war ihm auf ewig dankbar für diese Hilfe.
»Hans«, erwiderte Rheinberg den Gruß. »Du bist schon lange an Bord?«
»Drei Tage jetzt. Ich habe gehört, dass wir ein Rudel Landratten mit
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