Die Ankunft
Wir haben sie vor uns hergetrieben wie Vieh!«
Richomer überlegte sich, was er antworten sollte. Valens' Interpretation der Wahrheit war so falsch, wie sie in seinem imperialen Wahn nur sein konnte. Sie hatten die Goten beschattet, wie sie plündernd durch die Lande gezogen waren, und ja, General Sebastianus hatte einen erfolgreichen Angriff gegen einen Teil der wandernden Horden geführt, aber dabei bei Weitem nicht den Schaden angerichtet, von dem Valens hier sprach. Fritigern war kein Narr. Er hatte gegen Sebastianus verloren, weil er seine Truppen zu weit verstreut hatte. Wenn er diesmal besser aufpasste und seine Krieger geballt gegen die Römer ins Feld schickte … Richomer roch das Desaster förmlich, das unausweichlich folgen musste.
Doch dies war Valens, der Kaiser des Ostens, Bruder des Valentinian. Und er war Richomer, ein Offizier Gratians, und er wusste, wann er aufhören musste, einen Imperator zu provozieren.
Er verbeugte sich. Richomer war der Kommandant von Gratians Vorausabteilung, ein fähiger Comes, und konnte sich mehr Widerworte gegen Valens erlauben als dessen eigene Generäle, da er vor allem Gratian Gehorsam und Dienst schuldete. Doch auch für ihn war irgendwann eine Grenze erreicht, und Valens hatte in seiner sich stetig steigernden Irrationalität schon so manchen kritischen Geist hinrichten lassen, nicht zuletzt mit dem in den letzten Jahren allzu schnell geäußerten Vorwurf einer Verschwörung.
Valens winkte ab.
»Ihr werdet mir dienen, Richomer, und Eure Abteilung Sebastianus unterstellen!«
Richomer konnte nicht mehr tun als gehorchen. Schließlich durfte er das Feldherrnzelt verlassen, trat in die sommerliche Hitze des August hinaus und beschattete seine Augen mit einer Hand. Vor ihm lag das befestigte Lager der oströmischen Truppen, erfahrene Veteranen, daran zweifelte auch der weströmische Offizier nicht. Aber es waren zu wenige. Zudem waren jenseits des kritischen Offizierskorps die meisten der hier versammelten Soldaten von ihrer Kampfeskraft mindestens ebenso überzeugt wie ihr Kaiser. Eine gefährliche Hybris, wie Richomer fand.
Aus dem Schatten des benachbarten Zeltes trat ein anderer Offizier auf ihn zu. Richomer erkannte den älteren Mann sofort, es war Victor, der Magister Equitum Ostroms, und damit zweithöchster Militärführer hinter Sebastianus. Ein erfahrener General, der schon drei Kaisern gedient hatte. Er war ein Verbündeter im Zweifel gewesen, hatte das Seine versucht, den Kaiser vom allzu voreiligen Angriff abzuhalten. Ein Blick in Richomers Gesicht sagte ihm alles, was er wissen musste.
»Es hat keinen Sinn gehabt, nicht wahr«, raunte er ihm außer Hörweite der Wachen zu, als sie gemeinsam einige Schritte gegangen waren.
Richomer seufzte leise.
»Er ist von Sinnen, mehr oder weniger. Mir scheint er hin und her gerissen zwischen seinem Drang nach Ruhm und dem Neid auf Gratians Siege auf der einen Seite und der Vernunft des erfahrenen Feldherrn, der er ist, auf der anderen.«
»Der er einmal war«, verbesserte ihn Victor mit bekümmertem Gesichtsausdruck. »Seit dem Tode seines Bruders hört er ausschließlich auf Modestus, und wenn er dann mal eine eigene Entscheidung trifft, dann oft eine dumme.« Modestus war Prätorianerpräfekt und Mitglied des Konsistoriums Ostroms, ein nicht unfähiger, durchaus überlegter Politiker und Militär, der jedoch nicht verstanden hatte, dass man Valens auch auf seinen Feldzügen nicht alleine lassen durfte. Wäre Modestus anwesend, so könnte man noch etwas erreichen, dessen war sich Richomer sicher. Doch der Präfekt weilte in Konstantinopel und der siegestrunkene Sebastianus wollte wie Valens den Ruhm des schnellen Sieges. Und hier, jenseits des mäßigenden Einflusses des Konsistoriums, war Valens vollends den Orakeldeutern und Astrologen verfallen, die ihn mit allerlei Einflüsterungen noch verrückter machten. Sie wuselten um ihn herum mit ihren Runen und Zeichnungen und Valens hörte auf ihren Ratschluss mehr als auf den erfahrener Offiziere.
»Wir müssen das Beste daraus machen«, seufzte Victor schließlich. »Ich habe große Angst um den Kaiser selbst. Bleibe in meiner Nähe mit deinen Männern, ich will sehen, dass wir nicht getrennt werden. Sebastianus ist kein schlechter General, aber er hat eine zentrale Schwäche: Er unterschätzt den Wert der Kavallerie – sowohl für den Angriff wie auch für den Rückzug. Du hast nur Reiter dabei?« »Maurische und alemannische Kavalleristen«, bestätigte Richomer.
Weitere Kostenlose Bücher