Die Ankunft
das?« Das war Frage und Forderung zugleich. » Nur weil es bei dir in einem Labor angefangen hat, wie kannst du dir da sicher sein, dass du es nicht an andere weitergeben kannst?«
» Weil das so nicht funktioniert!«
Sie ließ sich vom Bett plumpsen und landete neben meinen Füßen auf den Knien, umfasste meinen Oberschenkel und hielt mir ihren entblößten Arm vors Gesicht. » Versuch es einfach«, sagte sie. » Beiß mich einfach und schau, was passiert.«
Ich schreckte zurück und drehte meinen Kopf weg von ihrem blassen Arm. » Megan, nein. Ich sage dir doch, es …«
Ihre Fingernägel bohrten sich in mein Bein. » Versuch es einfach!«
So verharrten wir einen Moment, ich so weit nach hinten gelehnt, wie es mir in meinem Schreibtischstuhl möglich war, sie mein Bein umklammernd und mit dem Arm wedelnd, als ob er in der Luft hing. Ihre Lippen bebten, während sie mich musterte, und ihre Schläfe begann zu pochen.
Sie sprang auf. » Schön, Emily. Schön. Wenn du es nicht einmal versuchen willst, ich brauche dich nicht.«
Sie drehte sich von mir weg und schnappte sich ihre Jacke, die auf meinem Bett lag. Ohne sich noch einmal umzuschauen, riss sie die Zimmertür auf und stürmte in den Gang, die Treppe hinunter und zur Haustür hinaus.
Ich saß da und rang zitternd nach Luft. Ich musste ihr nachgehen. Ich musste irgendeine Lösung finden, um die Sache mit ihr ins Reine zu bringen und sie davon zu überzeugen, all das für sich zu behalten. Doch ich konnte mich nicht bewegen. Ich konnte ihr nicht wieder gegenübertreten. Bevor die Veränderungen eingesetzt hatten, hatten wir uns nie so gestritten. Niemals. All meine Erinnerungen an uns beide bestanden aus Gelächter auf Pyjamapartys, zusammengerollt auf der Couch DVD s anschauen, Kreieren neuer Milchshake-Varianten, bis in die Nacht hinein am Telefon oder via Internet über alles und jedes quatschen. Wenn ich jetzt an Megan dachte, kam mir nur die schreckliche Beklemmung in den Sinn, die ich spürte, wenn ich in ihrer Nähe war. Ihre letzten Worte hallten durch meinen Kopf. Ich brauche dich nicht. Sie könnte damit gemeint haben, dass sie mich nicht mehr als Freundin brauchte. Doch mit einem Schlag wurde mir bewusst – sie hatte nicht nur mich dabei beobachtet, wie ich mich von einem Werwolf in einen Menschen verwandelt hatte. Sie hatte auch Dalton dabei zugesehen. Sie brauchte mich nicht, um sie zu beißen, weil sie dachte, es gäbe noch einen weiteren Werwolf, der sie mit Lykanthropie infizieren konnte. Und wenn sie Dalton erwischte, während er sich gerade in sein Nächtliches Ich verwandelte … » O nein«, japste ich. Ich griff zu meinem Handy und klickte auf der Kontaktliste Spencer an. Ich tippte: WIR TREFFEN UNS BEI DALTON . NOTFALL !!
Ich rannte zu meinem Fenster hinüber und schaute hinaus, aber natürlich war Megan schon längst fort. Sie hatte ihren Wagen bereits erreicht und war auf dem Weg zu Dalton. Ich konnte nicht warten, bis ich abgeholt wurde. Ich hetzte die Treppe hinunter und jagte aus der Haustür hinaus, vorbei an meinem irritierten Dad. Dann rannte ich los.
22
Beiß mich
Häuser, Gehwege, Autos, Kinder, Haustiere, Bäume, Blumenbeete, Klettergerüste, Stoppschilder – alles verschwamm zu verwischten, bunt gemischten Farbklecksen, während ich mich zwang, schneller zu rennen, als mein normales, durchschnittliches Ich das je tun würde. Der Schweiß strömte mir von der Stirn, tropfte mir in die Augen und durchnässte mein Haar. Meine Muskeln begannen zu schmerzen, doch rannte ich weiter und zwang mich dazu, so schnell zu sein, wie es mir jenseits meiner Superheldenkräfte nur möglich war. Meine Abende als Nächtliche Emily hatten mir durchtrainierte Waden und Oberschenkel beschert. Dank ihrer Energie hatte sich meine Kondition verbessert. Doch ohne diese wie auch immer gearteten Rezeptoren, die abends in meinem Gehirn zum Vorschein kamen und mich in einen Zustand zwischen Mensch und Werwolf beförderten, war das für meinen Körper noch immer anstrengend. Ich schlängelte mich an gemütlich schlendernden Fußgängern vorbei. Ich schoss über Straßen, ohne mich damit aufzuhalten, nachzusehen, ob ein Auto kam. Inzwischen keuchte ich, weigerte mich jedoch, mich dadurch aufhalten zu lassen. Und endlich, endlich erreichte ich Daltons Viertel. Ich sah sein riesiges Haus, seinen weitläufigen, extrem gepflegten Rasen. Der Boden war mit roten und blauen Plastikbechern gesäumt und die Auffahrt mit schlammigen Fußabdrücken
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