Die Anstalt
wusste, wer es war. »Lach du nur!«, brüllte ich den Engel an. »Aber wer weiß denn sonst, was passiert ist?«
Francis nahm gegenüber von Lucys Schreibtisch Platz, während Peter an der Rückseite des kleinen Büros hin und her lief. »Also«, sagte Fireman ein wenig ungeduldig, »Fräulein Staatsanwältin, was liegt an?«
Lucy wies auf einige der Akten. »Ich denke, es ist an der Zeit, dass wir uns ein paar Patienten vornehmen und mit ihnen reden. Diejenigen, bei denen eine gewalttätige Neigung aktenkundig ist.«
Peter nickte, schien aber ein wenig betroffen. »Zweifellos haben Sie, sobald Sie sich an die Lektüre gemacht haben, festgestellt, dass das auf so gut wie jeden hier zutrifft, außer den Senilen und Zurückgebliebenen, und selbst die haben möglicherweise irgendwelche Vermerke in dieser Richtung. Wir müssen eher Kriterien herausarbeiten, die jemanden disqualifizieren, Miss Jones …«, fing er an, doch sie streckte ihm die offene Hand entgegen.
»Peter, nennen Sie mich von jetzt an bitte Lucy«, sagte sie. »Auf diese Weise brauche ich Sie auch nicht mehr beim Nachnamen anzureden – denn aus Ihrer Akte weiß ich, dass Sie Ihre Identität wenn schon nicht ganz verbergen, dann zumindest, nun ja, verschleiern wollen, hab ich Recht? Weil Sie in gewissen Kreisen des großen Commonwealth von Massachusetts ein wenig berüchtigt sind. Und ich weiß auch, dass Sie, als Sie hier eintrafen, Gulptilil ausdrücklich gesagt haben, Sie hätten keinen Namen mehr, ein Akt der Dissoziation, den er als den Wunsch interpretiert hat, nicht länger eine nicht näher genannte Schande über Ihre verzweigte Familie zu bringen.«
Peter hörte auf, im Zimmer herumzulaufen, und für eine Sekunde dachte Francis, er würde wütend werden. Eine seiner Stimmen brüllte
Aufgepasst!
, und er hielt den Mund und beobachtete die beiden mit Argusaugen. Lucy grinste, als sei ihr sehr wohl bewusst, dass sie Peter in Verlegenheit gebracht hatte, und er sah so aus wie jemand, der nach einer schlagfertigen Antwort suchte. Einen Moment später lehnte er sich an die Wand zurück und lächelte auf eine Weise, die Lucys Lächeln durchaus ähnlich war.
»Okay, Lucy«, sagte er gedehnt. »Vorname geht in Ordnung. Aber eines wüsste ich gerne. Meinen Sie nicht, dass Befragungen von Patienten, bei denen Gewalttätigkeit vermerkt ist, in der Vergangenheit oder sogar das eine oder andere Mal, seit sie hier sind, sich letztlich als fruchtlos erweisen werden? Oder noch deutlicher gefragt, Lucy, wie viel Zeit haben Sie eigentlich? Wie viel Zeit sollten Sie sich Ihrer Meinung nach nehmen, bis Sie hier mit einer Antwort aufwarten können?«
Lucys Grinsen schwand augenblicklich. »Wieso fragen Sie?«
»Weil ich gerne wüsste, ob Ihr Vorgesetzter in Boston darüber im Bilde ist, womit Sie hier draußen zu kämpfen haben.«
Schweigen legte sich über den kleinen Raum. Francis verfolgte jede kleinste Regung seiner Gesprächspartner: den Blick in und hinter ihren Augen, wie sie die Arme und Schultern hielten und damit vielleicht auch nur ein wenig von dem abwichen, was sie sagten.
»Wieso meinen Sie, ich hätte nicht die volle Unterstützung meiner Dienststelle?«
»Und, haben Sie die?«, fragte Peter einfach.
Francis sah, dass Lucy erst so, dann so antworten wollte und sich schließlich für eine dritte Variante entschied.
»Ja und nein«, sagte sie langsam.
»Das klingt für mich wie zwei verschiedene Antworten.«
Sie nickte.
»Meine Anwesenheit hier ist vorerst nicht Teil der offiziellen Prozessakte. Ich finde, das sollte sich ändern. Andere sind unentschieden. Oder genauer gesagt, nicht sicher, ob das in unsere Zuständigkeit fällt. Daher gab es, kaum dass wir von dem Mord an Short Blond hörten und ich sofort hier rauskommen wollte, eine kontroverse Debatte in meiner Dienststelle. Am Ende haben wir uns darauf geeinigt, dass sie mich ziehen lassen, aber nicht offiziell in ihrem Auftrag.«
»Ich gehe wohl recht in der Annahme, dass Gulptilil nicht ganz über diese Hintergründe informiert ist?«
»Da könnten Sie Recht haben, Peter.«
Er fing wieder an, vor der Rückwand auf und ab zu gehen, als könnte er durch Bewegung seine Gedanken in Schwung bringen. »Wie viel Zeit haben Sie, bevor die Anstaltsleitung die Nase voll hat – oder Ihre Dienststelle Sie zurückpfeift?«
»Nicht viel.«
Wieder schien Peter zu zögern und seine verschiedenen Überlegungen durchzuspielen. Peter sah Fakten und Details mit den Augen eines Bergführers,
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