Die Anstalt
Halt dich im Hintergrund! Achte auf deine Sicherheit!
Er war sich nicht sicher, ob er auf diese Stimme hören sollte oder nicht. Nach einer Weile schüttelte Francis den Kopf und sagte: »Vielleicht lieg ich ja falsch damit. Es kam mir nur ganz plötzlich in den Sinn, und ich hab’s nicht richtig zu Ende gedacht …«
Lucy hielt die Hand hoch. »Ich glaube, das war eine höchst treffende Bemerkung, C-Bird«, sagte sie in diesem akademischen Ton. »Und ich sollte sie mir gut merken. Aber was ist mit dem zweiten Besuch letzte Nacht an dem Fenster, wo er zu Ihnen und Peter reingeschaut hat? Was fällt Ihnen dazu ein?«
Francis warf Peter einen verstohlenen Blick zu und bekam ein Kopfschütteln und eine ermutigende Handbewegung zurück. »Er kann uns jederzeit sehen, Francis«, sagte Peter. »Im Tagesraum bei den Mahlzeiten oder sogar auf dem Weg zu und von den Gruppensitzungen. Verdammt, wir hängen ständig in den Fluren rum. Da könnte er uns in aller Ruhe beobachten. Tut er vermutlich auch. Wir merken es nur nicht. Wieso riskiert er, bei Nacht herumzuschleichen?«
»Wahrscheinlich hat er uns tagsüber beobachtet, Peter, da gebe ich dir Recht«, sagte Francis. »Aber das bedeutet ihm nicht dasselbe.«
»Warum?«
»Weil er während des Tages einfach nur einer von vielen Patienten ist.«
»Ja? Sicher. Aber …«
»Aber nachts ist er er selbst.«
Peter sprach zuerst, und es lag so etwas wie Bewunderung in seiner Stimme. »Jetzt ist es also raus«, sagte er mit einem leichten Glucksen, »wie ich schon lange vermutet habe: C-Bird hat einen ungemein scharfen Blick.«
Francis zog ein wenig die Schultern hoch und lächelte bei dem Gedanken, dass ihm ein Kompliment gemacht worden war, eine Erfahrung, die in den einundzwanzig Jahren, die er nun schon lebte, vollkommen neu für ihn war, wie er in einem entfernten Winkel seines Bewusstseins registrierte. Kritik, Beschwerden und die ständige Erinnerung an seine fortgesetzte Unzulänglichkeit waren ihm dagegen bis zu diesem Moment überaus vertraut.
Peter lehnte sich zu ihm herüber und knuffte ihn in den Arm. »Du wirst mal einen tollen Cop abgeben, Francis«, sagte er. »Siehst dafür vielleicht ein bisschen ungewöhnlich aus, aber trotzdem, klasse Cop. Wir müssen dir natürlich noch einen gewissen irischen Akzent beibringen, und du brauchst einen größeren Bauch und dicke rote Bäckchen und einen Schlagstock, mit dem du herumfuchteln kannst, und eine Schwäche für Doughnuts. Nein, eine Sucht nach Doughnuts. Aber das wird schon, früher oder später.«
Dann sagte er, an Lucy gewandt: »Das bringt mich auf eine Idee.«
Auch sie lächelte, weil es, wie Francis fand, nicht eben schwer war, die Vorstellung vom gnadenlos mageren Francis als bulligem Streifenpolizisten komisch zu finden. »Eine Idee käme gerade recht, Peter«, gab sie zur Antwort. »Eine Idee käme genau im richtigen Moment.«
Peter sagte eine Weile nichts, fuchtelte aber einen Augenblick lang mit den Händen herum wie ein Dirigent vor dem Symphonieorchester oder vielleicht auch ein Mathematiker, der eine Formel mangels Wandtafel, an die er Zahlen und Gleichungen kritzeln könnte, erst einmal in der Luft ausprobiert. Dann zog er einen Stuhl heran, drehte ihn um und setzte sich rittlings darauf, was, wie Francis fand, seiner Körperhaltung und seinen Ideen eine besondere Eindringlichkeit verlieh.
»Wir haben keine Indizien, richtig? Wir müssen es also anders angehen. Und wir haben keine Hilfe, besonders seitens der hiesigen Polizisten, die den Leichenfundort inspiziert und den Mord untersucht und schließlich Lanky verhaftet haben, richtig?«
»Richtig«, sagte Lucy. »Stimmt haargenau.«
»Und wir glauben trotz ihrer Beteuerungen nicht wirklich an die Hilfsbereitschaft von Gulp-a-pill und Mr. Evil, richtig?«
»Auch das ist richtig. Ich denke, es liegt auf der Hand, dass es ihnen bei ihren Überlegungen nur darum geht, sich möglichst wenig Probleme ins Haus holen.«
»Nur allzu wahr. Gehört nicht viel dazu, sich vorzustellen, wie die beiden in Gulp-a-pills Büro sitzen und ausknobeln, wie sie alles daransetzen können, ihren kostbaren Hintern da rauszuhalten. Und Miss Luscious macht sich dazu Notizen. Also haben wir im Moment nicht gerade viele Trümpfe in der Hand. Immerhin erst mal einen erfolgversprechenden Anfang.«
Peter sprudelte nur so vor Ideen. Francis sah, wie er geradezu unter Strom zu stehen schien.
»Was macht eine Ermittlung aus?«, fragte er rhetorisch und sah dabei Lucy
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