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Die Anstalt

Die Anstalt

Titel: Die Anstalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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den ich vor so vielen Jahren gemacht hatte. Ich sah den Makel in ihrer vollkommenen schönen Haut und fragte mich, wie es wohl ihr Leben verändert hatte. Ich dachte bei mir, dass ich sie gern ein einziges Mal berührt hätte.
    Ich zündete mir noch eine Zigarette an. Scharfer Rauch stieg in Spiralen in die abgestandene Luft. Ich hätte wer weiß wie lange so sitzen bleiben und meinen Erinnerungen nachhängen können, hätte es nicht mehrmals hintereinander heftig an meiner Tür geklopft.
    Erschrocken rappelte ich mich auf. Mein letzter Gedankengang riss ab und wich einem nervösen Gefühl. Ich lief zur Wohnungstür und hörte, wie jemand in scharfem Ton meinen Namen rief. »Francis!« Es folgte ein neuer Trommelwirbel gegen das dicke Holz. »Francis! Mach auf! Bist du da?«
    Ich blieb stehen und dachte einen Moment über die seltsame Abfolge der Forderungen nach: Mach auf!, gefolgt von: Bist du da? Falsch herum.
    Natürlich erkannte ich die Stimme. Ich wartete einen Moment, weil ich damit rechnete, binnen Sekunden eine weitere vertraute Stimme zu hören.
    »Francis, bitte. Mach die Tür auf, damit wir dich sehen können …«
    Schwester eins und Schwester zwei. Megan, die schlank und anstrengend war wie ein Kind, sich aber, mit dem entsprechenden Temperament, zu einer Verteidigerin im Profi-Fußball mauserte, und Colleen, vergleichsweise eine halbe Portion und der schüchterne Typ, der Ängstlichkeit mit einer einfältigen Kannst-du-das-für-mich-machen-weil-ich-nicht-weiß-wo-ich-anfangen-soll-Inkompetenz verband, und das in Bezug auf die einfachsten Dinge im Leben. Meine Geduld mit beiden war schnell erschöpft.
    »Francis, wir wissen, dass du da drinnen bist, und ich möchte, dass du augenblicklich diese Tür aufmachst!«
    Es folgte weiteres Hämmern an der Tür.
    Ich lehnte die Stirn an das harte Holz, drehte mich um, so dass ich mich mit dem Rücken dagegen lehnte, als könnte ich auf diese Weise ihr Eintreten verhindern. Nach einer Weile drehte ich mich wieder um und fragte: »Was wollt ihr?«
    Schwester eins: »Wir wollen, dass du aufmachst!«
    Schwester zwei: »Wir wollen nur sehen, dass bei dir alles in Ordnung ist.«
    Nicht schwer zu erraten.
    »Mir geht’s gut«, sagte ich, und die Lüge ging mir glatt über die Lippen. »Ich bin im Moment beschäftigt. Schaut später noch mal vorbei.«
    »Francis, nimmst du deine Medikamente? Mach sofort auf!« Megans Stimme besaß die ganze Autorität eines Ausbilders bei den Marines an einem besonders heißen Tag auf Parris Island, und ungefähr genauso viel Geduld.
    »Francis, wir machen uns Sorgen um dich!« Colleen sorgte sich vermutlich um jeden. Sie sorgte sich ständig um mich, um ihre eigene Familie, um die Alten und ihre Schwester, um Leute, über die sie morgens in der Zeitung las oder die sie in den Abendnachrichten sah, um den Bürgermeister und den Gouverneur und wahrscheinlich auch den Präsidenten und um die Nachbarn und die Familie ein Stück die Straße runter, die eine schwere Zeit durchmachte. Sorgen entsprachen ihrem Lebensstil. Sie war die Schwester, die meinen alten und nachlässigen Eltern am nächsten stand, und das bereits von Kindesbeinen an, denn stets und ständig hatte sie sich um ihren Segen zu allem, was sie tat, und vermutlich auch zu allem, was sie dachte, bemüht.
    »Wie gesagt«, erwiderte ich betont, ohne jedoch die Stimme zu erheben, »mir geht’s gut. Ich bin nur beschäftigt.«
    »Womit beschäftigt?«, fragte Megan.
    »Einfach nur mit meinem eigenen Projekt«, sagte ich. Ich biss mir auf die Lippe. Das würde nicht funktionieren, dachte ich. Nicht einen Augenblick lang. Damit würden sie nur noch hartnäckiger am Ball bleiben, da ich zweifellos ihre Neugier weckte.
    »Projekt? Was für ein Projekt? Hat dir dein Sozialarbeiter gesagt, du kannst an einem Projekt arbeiten? Francis, mach sofort auf! Wir sind den weiten Weg hierher gekommen, weil wir uns um dich Sorgen gemacht haben, und wenn du nicht aufmachst …«
    Sie brauchte ihre Drohung nicht auszusprechen. Ich war nicht sicher, was sie tun würde, aber ich hegte den Verdacht, dass, egal, was es war, das Öffnen der Tür das geringere Übel darstellte. Ich öffnete die Tür etwa fünfzehn Zentimeter breit und stellte mich an den Spalt, um sie am Eintreten zu hindern, während ich die Hand an der Kante hatte, um sie jeden Moment zuzuschlagen.
    »Seht ihr? Da bin ich, leibhaftig vor euch. Kein bisschen abgenutzt. Haar genauso wie gestern und genauso wie morgen vermutlich

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