Die Anstalt
letzten Nacht erholt zu haben, doch er glaubte kaum, dass er schon in der Lage war, der nächsten Nacht ins Auge zu sehen.
In Gedanken ging er all die Worte durch, die der Engel gesagt hatte, doch es fiel Francis schwer, sich mit der Präzision daran zu erinnern, die er für nötig hielt. Angst, erkannte er, verzerrt die Dinge. Es ist so, als ob man sich in einem Spiegelkabinett befände. Das Bild ist gewellt, verschwommen, verzerrt.
Einen Augenblick lang sagte er sich: Hör auf, den Engel sehen zu wollen. Fang an, mit den Augen des Engels zu sehen.
Tief in seinem Innern warnten ihn einige Stimmen laut:
Hör auf! Lass die Finger davon!
Francis wechselte unbehaglich die Stellung. Die Stimmen hätten ihn nicht gewarnt, hätten sie nicht etwas Wichtiges und Gefährliches gesehen. Er schüttelte ein wenig den Kopf, als wollte er sich wieder in die Gruppe einklinken, die sich weiterstritt, und er sah die anderen an, als Napoleon gerade sagte: »Wozu soll es überhaupt gut sein, ins All vorzudringen …« Und er sah auch, wie Cleo ihn mit einem fragenden, beinahe respektvollen Blick musterte. Indem sie Napoleon einfach ignorierte, was den Molligen in Rage brachte, beugte sie sich ruhig zu Francis vor: »C-Bird hat was gesehen, nicht wahr?«
Dann kicherte sie los, lachte über einen Witz, den nur sie verstand. In dem Moment betrat Peter den Raum.
Er winkte sofort der Gruppe zu und verneigte sich tief vor seinen Mitpatienten, wie ein Lakai des Königs an einem Hof im sechzehnten Jahrhundert. Dann schnappte er sich einen Stahlklappstuhl und zog ihn in den Kreis.
»Kein bisschen angeschlagen«, sagte er, um der Frage zuvorzukommen.
»Peter scheint die Isolation zu mögen«, sagte Cleo.
»Da schnarcht wenigstens keiner«, antwortete Peter, was mit allgemeinem Grinsen und Kichern quittiert wurde.
»Wir haben über Astronauten gesprochen«, sagte Mr. Evil. »Ich würde die Diskussion gerne in der Zeit, die uns noch bleibt, zum Abschluss bringen.«
»Sicher«, sagte Peter. »Wollte nicht stören.«
»Gut, sehr schön. Möchte noch jemand etwas hinzufügen?« Mr. Evil wandte sich von Peter ab und sah in die versammelte Patientenrunde, wo er nur auf Schweigen stieß.
Evans ließ ein paar Sekunden verstreichen. »Irgendjemand?«
Wieder schwieg die eben noch so laut schnatternde Gruppe. Francis fand, dass ihnen das durchaus ähnlich sah; dass ihnen manchmal die Worte nur so heraussprudelten, um dann plötzlich zu versiegen, während alle mit fast religiöser Inbrunst Nabelschau betrieben. Solche Stimmungsschwankungen waren an der Tagesordnung.
»Na, kommen Sie schon«, sagte Evans, dem der Frust allmählich anzuhören war. »Wir waren doch eben, bevor wir unterbrochen wurden, so angeregt bei der Sache. Wer macht den Anfang? Cleo?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Newsman?«
Ausnahmsweise einmal hatte er keine Schlagzeile auf Lager.
»Francis?«
Francis antwortete nicht.
»Sagen Sie was«, sagte Evans steif.
Francis wusste nicht, was er sagen sollte, und er sah, wie Evans zunehmend verärgert auf seinem Stuhl herumrutschte. Es ging, dachte Francis, um Kontrolle. Mr. Evil wollte alles im Wohnheim unter seiner Kontrolle haben, und wieder einmal hatte Peter diese seine Macht gebrochen. Mehr als jeder Patient, wie starrsinnig er in seinem Wahn auch sein mochte, hatte Mister Evans das Bedürfnis, im Innern des Amherst-Gebäudes über jeden Moment zu bestimmen.
»Sagen Sie etwas«, wiederholte Evans noch eisiger. Das war ein Befehl.
In Francis’ Kopf arbeitete es mächtig bei dem Versuch, herauszubekommen, was Mr. Evil hören wollte, doch als Antwort platzte er nur mit dem Fazit heraus: »Ich werde nie ins All fliegen.«
Evans zuckte die Schultern und schnaubte: »Na ja, sicher nicht …«, als wäre das, was Francis gesagt hatte, das Idiotischste, was er je gehört hatte.
Doch Peter, der ihnen zugehört und sie beobachtet hatte, beugte sich vor. »Wieso nicht?«, fragte er.
Francis drehte sich zu Firemans Stimme um. Peter grinste. »Wieso nicht?«, fragte er noch einmal.
Evans schien aus dem Konzept gebracht. »Wir ermuntern hier zu keinen Hirngespinsten, Peter«, schnauzte er.
Doch Peter, frisch aus der Gummizelle, ignorierte ihn. »Wieso nicht, Francis?«, fragte er zum dritten Mal.
Francis wies mit einer wedelnden Handbewegung auf die Klinikumgebung.
»Aber C-Bird«, fuhr Peter fort und kam mit jedem Wort mehr in Fahrt, »wieso könntest du kein Astronaut sein? Du bist jung, du bist fit, du bist clever. Du
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