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Die Anstalt

Die Anstalt

Titel: Die Anstalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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Auseinandersetzung beobachtet? Oder waren Schreie und Schläge zu hören, laute Flüche und Verwünschungen? All das, was normalerweise mit einem Konflikt dieser Art einhergeht?«
    »Nein, Doktor«, antwortete Evans. »Absolut nichts dergleichen.«
    »Ein Kampf auf Leben und Tod vielleicht?«
    »Nein.«
    Gulptilil drehte sich zu Lucy um. »Zweifellos wäre im Fall eines Mordes irgendjemand in diesem Raum aufgewacht und hätte irgendetwas gesehen oder gehört. Da dem aber nicht so ist …«
    Francis machte einen halben Schritt vor und wollte schon etwas sagen, bremste sich aber.
    Er sah zu Big Black hinüber, der kaum merklich den Kopf schüttelte. Der Rat des großen Pflegers war richtig, erkannte Francis. Falls er beschrieb, was er gehört hatte, falls er beschrieb, was für eine unheimliche Präsenz an seinem eigenen Bett gelauert hatte, dann wäre das von Ärzten, die schnell zu einer solchen Annahme neigen, höchst wahrscheinlich nur als eine von seinen Halluzinationen abgetan worden. Ich habe etwas gehört – aber sonst niemand. Ich habe etwas gefühlt – aber sonst ist es keinem aufgefallen. Ich weiß, dass es einen Mord gegeben hat – da bist du der Einzige. Francis begriff sofort die Aussichtslosigkeit seiner Situation. Man hätte seine Beteuerung zur Kenntnis genommen und in seiner Akte als ein weiteres Anzeichen dafür notiert, wie weit er von einer deutlichen Genesung und somit dem ersten Ausgang entfernt war.
    Francis hielt den Atem an. In der Anstalt war die Anwesenheit des Engels nach wie vor weder real noch Illusion. Er wusste, dass der Engel das verstand. Kein Wunder, dachte Francis unter dem Beifall seiner Stimmen, dass der Killer sich so sicher fühlte. Er kann sich alles erlauben.
    Die Frage ist nur
, sagte Francis sich,
was er sich erlauben will.
    Also biss er sich auf die Lippen und starrte stattdessen den Tänzer an. Womit wurde er umgebracht? Kein Blut. Keine Würgemale. Nur eine Totenmaske, die ihm in die Züge eingegraben war. Vermutlich ein Kissen, das ihm aufs Gesicht gedrückt wurde. Stille Panik. Ein stummer Tod. Einen Moment lang hatte er sich wohl hin und her geworfen, bevor er besinnungslos wurde.
    War es das, was ich letzte Nacht gehört habe?, fragte sich Francis. Er dachte angestrengt nach: Ja. Ich hab bei dem Geräusch einfach nicht die Augen aufgemacht.
    Das Messer, mit dem Short Blond getötet worden war, das hatte er diesmal für ihn reserviert. Doch die Botschaft auf dem anderen Bett war für sie alle bestimmt. Francis merkte, wie seine Muskeln zuckten. Er war immer noch dabei, einen klaren Kopf zu bekommen und zu verstehen, wie nahe er in dieser Nacht entweder dem richtigen Tod oder aber einem tieferen Wahnsinn gewesen war. Es war, dachte er, als ob beides Hand in Hand ginge, eine passende Kombination unangenehmer Alternativen.
    »Ich hasse diese Art von Todesfällen«, sagte Gulptilil beiläufig zu Mr. Evans. »Sie bringen alle aus der Fassung. Sorgen Sie dafür, dass bei allen, die sich über Gebühr auf diesen Vorfall fixieren, die Medikamente hochgesetzt werden«, sagte der Chefarzt und warf einen Seitenblick Richtung Francis. »Ich möchte nicht, dass Patienten über den Tod dieses Mannes nachgrübeln, besonders, wenn bei ihnen noch diese Woche eine Entlassungsverhandlung anberaumt ist.«
    »Ich verstehe«, sagte Evans.
    Francis dagegen horchte auf. Er war nicht sicher, ob der Tod des Tänzers für seine Mitbewohner mehr als nur eine Kuriosität darstellte. Er wusste lediglich, dass die Neuigkeit, dass es in dieser Woche Verhandlungen geben würde, auf viele Patienten eine dramatische Wirkung haben musste. Irgendjemand kam vielleicht raus, und die Hoffnung war im Western State die Vorstufe zum Wahnsinn.
    Er warf einen letzten Seitenblick auf den Tänzer und empfand eine eigentümlich tiefe Traurigkeit. Da haben wir einen Mann, der unerwarteterweise erlöst worden ist, dachte Francis.
    Doch mitten in diesem Wechselbad aus Angst und Trauer erkannte Francis noch etwas anderes: ein Nebeneinander von Ereignissen, das er nicht recht benennen konnte und das einen kalten Verdacht in ihm aufsteigen ließ, der ihm zu schaffen machte.
    Eine Bahre wurde in den Schlafsaal gerollt, um die Leiche des Tänzers wegzuschaffen. Gulptilil und Mr. Evil sahen zu, wie der Tote aus seinem Bett gehoben und unter ein schmuddelig weißes Laken gelegt wurde. Lucy schüttelte nur den Kopf, als sie mit ansehen musste, wie ein Tatort so mir nichts, dir nichts zerstört wurde.
    Gulptilil drehte sich

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