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Die Anstalt

Die Anstalt

Titel: Die Anstalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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würde. Auf den ersten paar Metern schwiegen die drei; selbst ihre Schritte auf dem schwarz geteerten Weg schienen von der zunehmenden Schwüle und dem düsteren Himmel über ihnen gedämpft. Little Black wischte sich mit der Hand über die Stirn, betrachtete den Schweiß, der sich dort gesammelt hatte, und sagte: »Verdammt, jetzt wird es wirklich Sommer«, womit er Recht hatte. Sie liefen noch ein paar Schritte weiter, als Peter the Fireman abrupt stehen blieb.
    »Sommer?«, fragte er. Er sah hoch, als suchte er nach der Sonne und dem blauen Himmel, die sich beide nicht zeigten. Was immer er suchte, war in der diesigen Luft ringsum nicht zu finden. »Mr. Moses, was ist denn so los?«
    Little Black blieb ebenfalls stehen und sah Peter neugierig an. »Wie meinen Sie das, ›was ist denn so los‹?«, fragte er.
    »In der Welt. In den Vereinigten Staaten. In Boston oder Springfield. Spielen die Red Sox diese Saison gut? Sind die Geiseln immer noch im Iran? Gibt es Demonstrationen? Reden? Leitartikel? Geht es der Wirtschaft gut? Was ist an der Börse los? Was ist der Spitzenreiter im Kino?«
    Little Black schüttelte den Kopf. »Das sollten Sie Newsman fragen. Er hat sämtliche Schlagzeilen parat.«
    Peter sah sich um. Sein Blick ruhte auf den Mauern der Klinikgebäude. »Die meisten Menschen denken, die da sollen uns einsperren«, sagte er langsam. »Aber so läuft das in Wahrheit nicht. Diese Mauern sperren die Welt aus.« Peter schüttelte den Kopf. »Es ist, als wäre man auf einer Insel. Oder einer von diesen japanischen Soldaten, die sich irgendwo im Dschungel verlaufen haben und denen niemand Bescheid gesagt hat, dass der Krieg zu Ende ist, und die Jahr um Jahr dachten, sie müssten immer noch einfach ihre Pflicht tun und weiter für Kaiser und Vaterland kämpfen. Wir stecken irgendwie in einer Grauzone, einem Zeitsprung fest, und das Leben geht einfach an uns vorbei – Erdbeben, Hurrikans, Umwälzungen jedweder Art, ob von der Natur oder dem Menschen gemacht.«
    Lucy musste Peter Recht geben, aber sie zögerte dennoch eine Weile, bevor sie fragte: »Was wollen Sie damit sagen?«
    »Nun ja. Im Land der verschlossenen Türen, wer wäre da wohl der König?«
    Lucy nickte. »Der Mann mit den Schlüsseln.«
    »Und wie«, spann Peter seinen Gedanken fort, »legt man für einen Mann eine Falle, der jede Tür öffnen kann?«
    Lucy überlegte eine Weile. »Man muss ihn dazu bringen, die Tür zu öffnen, hinter der man ihn erwartet.«
    »Richtig«, sagte Peter. »Und welche Tür wäre das?«
    Er sah zu Little Black hinüber, der die Schultern zuckte. Doch Lucy stürzte sich auf diese Überlegung, dann zog sie heftig die Luft ein, als hätte sie mit der Idee, die ihr kam, nicht gerechnet, als sei sie geradezu ein Schock für sie. »Wir kennen eine Tür, die er geöffnet hat«, sagte sie. »Das war die Tür, die mich herbrachte.«
    »Welche Tür meinen Sie?«
    »Wo war Short Blond, als er sie überfiel?«
    »Spätnachts allein in der Pflegestation des Amherst-Gebäudes.«
    »Dann sollte ich dorthin«, führte Lucy den Gedanken zu Ende.

29
    B is Mittag hatte es zu regnen angefangen, ein unregelmäßiges Nieseln, das immer wieder in stärkere Schauer überging, dann plötzlich allzu optimistisch aufklarte, um dem nächsten schwarzen Platzregen zu weichen. Francis war an Big Blacks Seite vorwärts gehastet, war zwischen stickiger Luftfeuchtigkeit und prasselnder Nässe weitergeeilt und hatte beinahe gehofft, der massige Körper des Pflegers könne ihm einen trockenen Tunnel durch das düstere Wetter bilden. Es war einer von den Tagen, dachte er, die von unkontrollierbaren Epidemien kündeten und von grassierenden Infekten: heiß, drückend, schwül und nass. Beinahe tropisch zu nennen, als sei die gewohnte, konservativ trockene Neu-England-Welt der Klinik urplötzlich unter den Einfluss einer fremdartigen, bizarren Regenwald-Empfindsamkeit geraten. Es war in Francis’ Augen eine Wetterlage, die in jeder erdenklichen Hinsicht nicht hierher passte und so irre wie sie alle wirkte. Selbst die Böen, welche die Pfützen von den Bürgersteigen fegten, waren von einer unwirklichen Vehemenz.
    Wie üblich fanden die Entlassungsverhandlungen im Verwaltungsgebäude, im relativ kleinen Personal-Speiseraum statt, der für den Anlass in einen Pseudo-Gerichtssaal verwandelt worden war. Er wirkte irgendwie provisorisch. Es standen Tische für die Beamten, die die Sitzung durchführten, und welche für die Anwälte der Patienten bereit.

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