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Die Anstalt

Die Anstalt

Titel: Die Anstalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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Für die Klinikinsassen und ihre Familien hatte man reihenweise unbequeme Stahl-Klappstühle aufgestellt. Ein Schreibtisch war dem Stenographen vorbehalten und ein besonderer Stuhl für die Zeugen. Der Raum war voll, aber nicht überfüllt, und die wenigen Worte, die fielen, wurden geflüstert. Francis und Big Black schlüpften in eine Stuhlreihe an der Rückwand. Zuerst bildete sich Francis ein, die Luft im Raum sei besonders stickig, doch dann kam er auf den Gedanken, dass es wohl weniger die Luft als die dichte Wolke sehnsüchtiger Hoffnung und Hilflosigkeit war, die den Raum erfüllte.
    Den Vorsitz hatte ein pensionierter Bezirksrichter aus Springfield. Er hatte graue Haare, Übergewicht und eine rote Gesichtsfarbe und neigte zu ausladenden Gesten. Er schlug ziemlich oft ohne ersichtlichen Grund mit seinem Hämmerchen auf den Tisch und trug eine leicht ausgefranste Robe, die vermutlich bessere Tage und vor Jahren auch noch wichtigere Fälle gesehen hatte. Rechts von ihm saß eine Psychiaterin vom staatlichen Gesundheitsamt, eine junge Frau mit dicken Brillengläsern, die ständig in ihren Akten und Papieren wühlte, als könne sie partout nicht die Richtigen finden, und links von ihm saß ein Vertreter der Bezirksstaatsanwaltschaft, der mit dem typischen gelangweilten Blick eines jungen Mannes auf seinem Stuhl hing, der aufgrund einer verlorenen Wette in seinem Büro zu dem Termin in der Klinik verdonnert war. An einem Tisch saß ein anderer Junganwalt mit widerborstigem Haar und schlecht sitzendem Anzug, der ein wenig eifriger und wacher bei der Sache war und die Interessen der Patienten vertrat; schließlich saßen ihm gegenüber mehrere Angehörige des Klinikpersonals. Dies alles diente dazu, dem Verfahren ein offizielles Gepräge zu verleihen und Beschlüsse in einem Mischjargon aus medizinischem und juristischem Fachvokabular zu formulieren. Es gab sich den Anschein von Authentizität, von verantwortungsvollem Handeln, von einer systematischen Vorgehensweise und Fürsorglichkeit, als ob jeder Fall der verhandelt wurde, sorgsam geprüft und eingeordnet und beurteilt würde, bevor er zur Verhandlung kam, während Francis augenblicklich begriff, dass das Gegenteil zutraf.
    Francis fühlte, wie in ihm Verzweiflung aufwallte. Ein Blick durch den Raum sagte ihm, dass die Familien, die still dasaßen und warteten, bis der Name ihres Sohnes oder ihrer Tochter, ihrer Nichte oder ihres Neffen oder gar des Vaters oder der Mutter aufgerufen wurde, das entscheidende Element dieser Entlassungsverhandlungen waren. Ohne so jemanden kam niemand raus. Selbst wenn die ursprüngliche Zwangseinweisung, die sie ins Western State gebracht hatte, längst abgelaufen war, blieben die Anstaltstüren verschlossen, solange nicht jemand von außen bereit war, die Verantwortung zu übernehmen. Francis fragte sich, wie er seine Eltern dazu bringen konnte, ihm wieder ihr Haus zu öffnen, wenn sie nicht einmal zu Besuch in die Klinik kamen.
    In seinem Kopf meldete sich beharrlich eine Stimme
. Sie werden dich nie genug lieben, um herzukommen und darum zu bitten, dich wieder zu ihnen zu lassen …
    Und dann eine andere, die in hastigem Ton zu ihm sagte:
Francis, du musst einen anderen Weg finden, um zu beweisen, dass du nicht verrückt bist
.
    Er nickte still angesichts der Erkenntnis, dass entscheidend für ihn war, was er vor Mr. Evil und Gulp-a-pill verbergen konnte. Francis rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her und fing an, sich die Leute anzusehen, die über den Raum verteilt waren. Sie schienen aus ganz unterschiedlichem Holz geschnitzt, ungehobelt und rau. Einige der Männer trugen Jackett und Krawatte, was an ihnen deplatziert aussah; man durchschaute sehr schnell, dass sie sich herausgeputzt hatten, um einen guten Eindruck zu machen. Die Frauen trugen einfache Kleider und hielten ihre Kleenextücher bereit, um sich ab und zu die Tränen abzutupfen. Francis spürte, dass eine Menge Scheitern in der Luft lag, gepaart mit entsprechenden Schuldgefühlen, die mehr als einem Besucher ins Gesicht geschrieben standen.
Es ist nicht eure Schuld,
hätte Francis ihnen am liebsten zugerufen,
dass wir so geworden sind
… Doch dann war er sich plötzlich nicht mehr sicher, ob er mit dieser Einschätzung richtig lag.
    Er hörte, wie der Richter mit dem roten Kopf herausplatzte: »Kommen wir zur Sache …« und dazu zwei-, dreimal das Hämmerchen auf den Tisch knallen ließ, und so wandte sich Francis dem beginnenden Verfahren zu.
    Bevor

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