Die Anstalt
Besonderes, etwas Außergewöhnliches aufzubewahren. Eine Art tragbares Geheimversteck für die Dinge, die er als Kind gesammelt hatte, denn jedes kleine Stück war in sich so etwas wie eine Reise. Ein Tannenzapfen, den er einmal im Herbst aufgelesen hatte; einen Satz Zinnsoldaten; ein Buch mit Kinderversen, das er nie in die Leihbücherei zurückgebracht hatte.
Ihm zitterten ein wenig die Hände, als er über die Kunstlederränder der Reisetasche strich, und er nahm den Griff in die Hand. Der Reißverschluss war offen, und er sah, dass alles, was er einmal darin aufbewahrt hatte, gegen Kleidung aus seinen Schubladen ausgewechselt worden war. Im selben Moment wusste er, dass seine ganze Sammlung ausgeleert und weggeworfen worden war. Es kam ihm vor, als hätten seine Eltern das Wenige, das sie von seinem Leben besaßen, in dieses Gepäckstück gesteckt, um es ihm zukommen zu lassen und ihn wegzuschicken. Er merkte, wie seine Unterlippe zitterte, und er fühlte sich sehr allein.
Die Schwestern schoben ihm einen zweiten Stapel Sachen zu. Er bestand aus einer Garnitur Bettwäsche aus rauem Stoff, einer fadenscheinigen, verwaschen olivfarbenen Wolldecke aus Armeebeständen, einem Bademantel, wie er ähnliche schon an einigen Patienten gesehen hatte, und ein paar Pyjamas, wie er sie ebenfalls bereits ausgemacht hatte. Er legte die Sachen auf das Köfferchen und trug sein Gepäck vor der Brust.
Mr. Moses nickte. »Also, dann zeigen wir Ihnen mal Ihr Bett und sehen zu, dass wir Ihre Sachen verstaut kriegen. Was haben wir dann für Mr. C-Bird, Ladies?«
Wieder ging eine der Schwestern das Krankenblatt durch. »Mittagessen um zwölf. Dann hat er bis zu der Gruppensitzung um drei mit Mr. Evans in Raum 101 frei. Um sechzehn Uhr dreißig kommt er zur Freizeit wieder hierher. Abendessen um sechs. Medikamentenausgabe um sieben. Das wär’s.«
»Alles klar, Mr. C-Bird?«
Francis nickte. Er traute seiner eigenen Stimme nicht. Er hörte tief in seinem Innern die Order, den Mund zu halten und sich zu fügen und auf der Hut zu sein. Er folgte Mr. Moses durch eine Tür in ein großes Zimmer mit dreißig bis vierzig Betten, die in Reihen aufgestellt waren. Mit einer Ausnahme, nicht weit von der Tür, waren alle Betten gemacht. Ein halbes Dutzend Männer lagen dort auf ihrem Bett und starrten, wenn sie nicht schliefen, zur Decke. Kaum einer warf einen flüchtigen Blick auf ihn, als er den Saal betrat.
Mr. Moses half ihm, das Bett zu machen und seine wenigen Sachen in einer Feldkiste zu verstauen. Auch den winzigen Koffer konnte er darin verschwinden lassen. Es dauerte weniger als fünf Minuten, bis alles an Ort und Stelle war.
»Also, das hätten wir«, sagte Mr. Moses.
»Und was wird jetzt weiter mit mir?«, fragte Francis.
Der Pfleger lächelte etwas wehmütig. »Jetzt müssen Sie zusehen, C-Bird, dass es Ihnen besser geht.«
Francis nickte. »Und wie soll ich das machen?«
»Das ist die große Frage, C-Bird. Das müssen Sie selber rausfinden.«
»Was soll ich denn machen?«, fragte Francis.
Der Pfleger beugte sich zu ihm herunter. »Bleiben Sie einfach für sich. Hier kann es ab und zu ein bisschen ungemütlich werden. Sie müssen rauskriegen, mit wem Sie’s sonst noch zu tun haben, und bei jedem den richtigen Abstand wahren. Versuchen Sie nicht zu schnell, mit jemand gut Freund zu werden, C-Bird. Halten Sie einfach den Mund und beachten Sie die Regeln. Wenn Sie mal Hilfe brauchen, kommen Sie zu mir oder zu meinem Bruder oder zu einer von den Schwestern, und wir versuchen, die Sache auf die Reihe zu kriegen.«
»Aber wie lauten denn die Regeln?«, wollte Francis wissen.
Der Hüne von Aufseher drehte sich um und zeigte auf ein Schild, das hoch oben an der Wand befestigt war.
IM SCHLAFSAAL RAUCHEN VERBOTEN
KEIN LÄRM
NACH EINUNDZWANZIG UHR
REDEN VERBOTEN
RESPEKTIEREN SIE DIE ANDEREN
RESPEKTIEREN SIE ANDERER LEUTE
EIGENTUM
Als er sich alles zweimal durchgelesen hatte, drehte Francis sich um. Er wusste nicht recht, wo er hingehen oder was er machen sollte. Er setzte sich auf die Bettkante.
Am anderen Ende des Raums stand einer der Männer, der mit dem Gesicht zur Decke dagelegen und sich schlafend gestellt hatte, abrupt auf. Er war sehr groß, gut einen Meter fünfundneunzig, mit eingefallener Brust und dünnen, knochigen Armen, die unter einem abgerissenen Sweatshirt mit einem Logo der New England Patriots hervorlugten, sowie Ofenröhren-Beinen, die aus einer mindestens fünfzehn Zentimeter zu kurzen
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