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Die Anstalt

Die Anstalt

Titel: Die Anstalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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begrüßte ihn mit einem Lächeln. Da er mit Mr. Moses’ forschem Tempo Schritt halten musste, blieb ihm kaum Zeit, seine Umgebung zu begutachten. Und was er von den anderen zu sehen bekam, war eine bunte Mischung, eine zusammengewürfelte Schar von Leuten unterschiedlichen Alters und Körperbaus. Haare, die aus der Kopfhaut zu explodieren schienen, Bärte, die wie auf vergilbten Fotos aus dem neunzehnten Jahrhundert bis zur Brust herunterwucherten. Es war ein Ort der Widersprüche. Ringsum bohrten sich wilde Blicke in ihn und musterten ihn von oben bis unten, bis er sie hinter sich gelassen hatte. Andere Patienten dagegen senkten stumm die Augen oder drehten sich zur Wand, um jeden Kontakt zu meiden. Einzelne Worte und Unterhaltungsfetzen schwirrten ihm um die Ohren – manchmal an andere gerichtet, manchmal auch ins Selbstgespräch vertieft. An die Kleidung wurden nicht viel Gedanken verschwendet; einige Insassen trugen lose sitzende Klinik-Nachthemden und Pyjamas, einige normalere Straßenkleidung. Einige standen im Bade-oder Morgenmantel herum, andere in Jeans und Paisleyhemd. Es war alles ein wenig unpassend, aus den Fugen geraten, als ob die Farben sich unschlüssig wären, was womit harmonierte, oder die Größen einfach nicht stimmten, Hemden zu lose saßen, Hosen dafür zu eng oder zu kurz waren. Zwei verschiedene Socken. Gestreiftes zu Kariertem. Und allgegenwärtig dieser beißende Zigarettenrauch.
    »Zu viele Leute auf einem Haufen«, sagte Mr. Moses, als sie zu einer Pflegestation kamen. »Haben vielleicht für zweihundert Betten gebaut. Aber stattdessen haben wir hier so um die dreihundert reingequetscht. Sollte meinen, dass sie sich wenigstens das irgendwie ausklamüsert hätten, aber nein, bis jetzt noch nicht.«
    Francis antwortete nicht.
    »Haben aber ein Bett für Sie«, fügte Mr. Moses hinzu. An der Pflegestation blieb er stehen. »Sie werden wieder topfit, keine Bange. Hallo, Ladies«, sagte er. Zwei Schwestern in Weiß drehten sich hinter dem Maschendraht zu ihm um. »Sie sehen ja allerliebst und reizend aus an diesem schönen Morgen.«
    Eine war alt, mit ergrautem Haar und ziemlich faltigem, verhärmtem Gesicht, das sich dennoch zu einem Lächeln verzog. Die andere war eine stämmige Schwarze, weitaus jünger als ihre Kollegin, und sie schnaubte ihre Antwort wie jemand heraus, der schon zu oft nette Worte mit einem falschen Unterton gehört hatte. »Das Süßholzgeraspel schenken wir uns, sag mir lieber, was du diesmal brauchst.« Der Ton war gespielt barsch, und beide Frauen grinsten.
    »Also bitte, Ladies, ich versuch doch nur, ein bisschen Glück und Freude in euer Leben zu bringen«, sagte er. »Was sonst?«
    Die Schwestern lachten laut. »Schon einen einzigen Mann gesehen, der nich’ irgendwas will?«, sagte die schwarze Schwester, woraufhin die Weiße schnell draufsetzte: »Schätzchen, so isses, so wahr mir Gott helfe.«
    Mr. Moses musste ebenfalls lachen, während Francis auf einmal verlegen wurde und nicht wusste, was von ihm erwartet wurde. »Ladies, kann ich Ihnen Mr. Francis Petrel vorstellen, der ’ne Weile bei uns bleiben wird. Mr. C-Bird, diese nette junge Lady is’ Miss Wright, und ihre reizende Kollegin hier, das is’ Miss Winchell.« Er reichte ihnen ein Klemmbrett. »Der Doktor hat dem Jungen ein paar Mittelchen aufgeschrieben. Wie’s aussieht, so ziemlich das Übliche.«
    Er wandte sich an Francis und sagte: »Na, was denken Sie, Mr. C-Bird? Meinen Sie, der Doktor hat Ihnen vielleicht ’ne Tasse Kaffee zum Frühstück und ’n nettes kaltes Bierchen zum Brathähnchen und Maisbrot zum Abendessen aufgeschrieben? Meinen Sie, das isses, was Sie kriegen?«
    Francis musste ihn wohl erstaunt angesehen haben, denn der Pfleger beeilte sich, hinzuzufügen: »Nur ’n kleiner Scherz. Nix für ungut.«
    Die Schwestern überflogen das Krankenblatt und legten es dann zusammen zu einem Stapel in eine Ecke ihres Schreibtischs. Die Ältere, Miss Winchell, griff unter eine Theke und zog einen kleinen, billigen Koffer aus einem Stoff mit Schottenmuster hervor. »Mr. Petrel, das hat Ihre Familie für Sie abgegeben.«
    Sie reichte ihm das Gepäckstück durch die Öffnung im Maschendraht und sagte: »Ich hab’s schon durchsucht.«
    Francis nahm das Köfferchen und kämpfte gegen einen Tränenausbruch an. Er hatte es sofort wiedererkannt. Es war ein Weihnachtsgeschenk aus seiner Kindheit, und weil er eigentlich nie irgendwohin verreist war, hatte er es immer benutzt, um darin etwas

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