Die Anstalt
lockere Erde über Cleos Sarg ausheben konnten. Fast schien es, als hätte sie ihre kleine Prozession in dieser Nacht erwartet.
Hinter ihnen kämpften Sanitäter zum zweiten Mal in den letzten paar Stunden um ein Leben. Es dauerte nicht lange, bis sie alle drei hörten, wie der Krankenwagen abfuhr und über das Klinikgelände raste, um wie kurz davor auf genau demselben holprigen Weg in halsbrecherischem Tempo die nächste Notaufnahme anzusteuern.
Als der Sirenenlärm verebbte, blieben sie mit dem gedämpften Klang ihrer Schaufeln und der Hacke zurück, die sich in den lehmigen Boden vorarbeiteten. Es regnete weiter, und sie waren schon bis auf die Haut durchnässt, doch Francis war völlig unempfindlich gegen jedes Unbehagen oder die Kälte. Er merkte, wie er an der Hand eine Blase bekam, ignorierte sie und schwang weiter die Hacke, um sich immer tiefer in den Boden zu fressen. Er hatte längst die Grenze völliger Erschöpfung überschritten und war in einen Bereich vorgedrungen, in dem nur der Entschluss zählte, ihre einzige Chance zu nutzen, die tief unten in der Erde ruhte.
Francis hätte nicht sagen können, ob sie eine Stunde oder länger brauchten, bis sie sich die knapp zwei Meter nach unten durchgearbeitet hatten, wo der matt schimmernde billige Stahlsarg mit Cleos sterblichen Überresten auftauchte. Einen Moment spielte der Regen einen Trommelwirbel auf dem Deckel, und Francis hoffte seltsamerweise, dass der Lärm nicht die schlafende Königin geweckt hatte.
Dann schüttelte er den Kopf und dachte:
Das hier würde ihr gefallen. Jeder Kaiserin gebührt in der anderen Welt ein Diener.
Big Black warf wortlos die Schaufel weg. Er sah seinen Bruder an, und Little Black half ihm dabei, den Engel an Händen und Füßen hochzuheben. Die beiden Pfleger stolperten und schlitterten über den durchtränkten Boden, bis sie am Rand des Grabes standen, Schwung holten und den Engel in das Grab fallen ließen, wo er mit einem dumpfen Geräusch auf dem Sarg aufschlug. Big Black sah zu Francis auf, der zögernd am Rand des Loches stand, und diesmal sagte der Pfleger: »Nicht nötig, über dem Mann ein Gebet zu sprechen. Kein Gebet der Welt kann dem noch nützen, dort, wo er hinkommt.«
Da hatte der Pfleger Recht, fand Francis.
Ohne zu zögern, nahmen sie alle drei erneut die Schaufeln und die Hacke zur Hand und schütteten das Grab wieder zu, als gerade das erste, zarte Licht der Morgenröte über den fernen Horizont kroch.
Und das war’s.
Am Fuß der Wand rollte ich mich zusammen.
Ich fröstelte, als ich versuchte, das Chaos rings um mich zu verdrängen. Von irgendwo aus weiter Ferne hörte ich Rufe und ein lautes Hämmern, als klopften all die Ängste und die nagenden Zweifel und jedes Quäntchen Schuldgefühle, die ich all diese Jahre verdrängt hatte, an meine Tür und drohten, sie aus den Angeln zu heben und aufzubrechen. Ich wusste, dass ich dem Engel einen Tod schuldig war, und er war da, um ihn einzufordern. Die Geschichte war erzählt, und ich glaubte, dass ich nicht das Recht hatte, weiter am Leben zu bleiben. Ich schloss die Augen, und während ich laute Stimmen und aufgeregte Rufe über mich hereinbrechen hörte, wartete ich auf seine Rache und seine eisige Berührung. Ich kauerte mich zu einem so kleinen und unbedeutenden Paket zusammen, wie ich nur konnte, und hörte, wie Schritte hektisch in meine Richtung kamen, während ich ruhig und traurig darauf wartete, dass ich starb.
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Teil drei
Eierschalenweiße Latexfarbe, matt
36
H allo, Francis.«
Beim Klang der vertrauten Stimme blinzelte ich.
»Hallo, Peter«, antwortete ich. »Wo bin ich?«
»Wieder in der Klinik«, erwiderte er mit einem Grinsen und diesem unbekümmerten Blitzen in den Augen. Ich muss alarmiert ausgesehen haben, denn er hielt die Hand hoch. »Natürlich nicht
unserer
Klinik. Die gibt es nicht mehr. Nein, in einer neuen. Um einiges netter als das alte Western State. Sieh dich mal um, C-Bird. Ich denke, du wirst mir zustimmen, dass die Unterbringung diesmal erheblich besser ist.«
Langsam drehte ich den Kopf zuerst nach rechts, dann nach links.
Ich lag auf einer festen Matratze und fühlte frische, saubere Bettwäsche an der Haut. Aus einem intravenösen Schlauch tröpfelte mir eine Mixtur in den Arm, und ich trug ein hellgrünes OP -Hemd. An der Wand gegenüber meinem Bett hing ein großes, buntes Gemälde von einem weißen Segelboot, das an einem schönen Sommertag in einer steifen Brise durch das glitzernde
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