Die Apothekerin
Nacht, Marie!« sagte sie.
Wir erklärten, daß wir noch ins Kino wollten, und verließen sie.
In Heidelberg liefen wir die Hauptstraße entlang, um noch Leute zu treffen - was leicht gelang -, tranken am Theaterplatz einen Espresso und kamen etwas unpünktlich in die Spätvorstellung, so daß wir Beachtung fanden.
Erst nach dem Film - an den ich mich überhaupt nicht erinnern kann - sagte mir Levin, daß unser Besuch in der Villa keineswegs die Generalprobe gewesen sei. Ich bekam mitten auf der Straße einen Heulkrampf.
In dieser Nacht lagen wir gemeinsam in meinem Bett und störten uns durch pausenloses Wälzen. Plötzlich stand ich auf und zog mich an. »Komm, Levin, wir fahren wieder hin und machen alles rückgängig!« befahl ich. Durch seine überströmenden Zärtlichkeiten und meine große Müdigkeit wurde dies aber verhindert.
Ich mußte um acht meine Arbeit in der Apotheke beginnen, Levin sollte mich anrufen, sobald er Nachricht aus Viernheim hatte. Er stand etwas später auf, ließ sich mit der Katze im Garten sehen, ging zum Briefkasten, holte eine Zeitung und achtete darauf, mit Nachbarn einen Gruß zu wechseln.
»Sie werden krank, Hella«, sagte meine Chefin, »ich sehe es Ihnen an.«
Ich versicherte, ich bekäme bloß meine Tage und sähe dann immer wie eine Leiche aus. Bei diesem Wort verschluckte ich mich und röchelte wie eine Asthmatikerin.
Meine Chefin schüttelte mißbilligend den Kopf. »Gehen Sie lieber heim«, empfahl sie, »es macht keinen guten Eindruck auf die Kunden, wenn sie sich bei der Apothekerin anstecken.«
»Es ist wirklich nichts«, sagte ich beschwörend, »wenn es Ihnen recht ist, lege ich mich zehn Minuten ins Hinterzimmer.«
Ich verbrachte diese Frist damit, mich sorgfältig zu schminken. Es war inzwischen fast elf Uhr. Ob das Gift nicht doch nach all den Jahren wirkungslos geworden war? Ich hoffte es inständig.
Gerade als ich mit rosigen Wangen wieder an die Theke trat, läutete das Telefon. Levin sagte steif: »Ich muß dir leider die traurige Nachricht überbringen, daß mein Großvater gestorben ist. Wahrscheinlich melde ich mich später noch einmal, jetzt muß ich sofort nach Viernheim.«
Ich sagte ebenso förmlich, denn meine Chefin lauschte. »Mein Gott, das tut mir aber leid! Wann ist es geschehen? Hat dich die Haushälterin angerufen?«
»Nein, der Arzt persönlich. Bis später.«
»Ist etwas passiert?« fragte mich die neugierige Chefin.
Ich nickte. »Der Großvater meines Freundes ist gestorben; aber er war alt und krank, man mußte damit rechnen.«
»Wollen Sie früher gehen?« fragte sie.
»Danke, aber das ist nicht nötig.«
Den ganzen Tag über meldete sich Levin nicht; ich machte Fehler bei der Arbeit, verlegte Medikamente und vergaß, einer kranken Frau Tabletten zu schicken. Pünktlich, aber keine Minute zu früh, verließ ich die Apotheke.
Die Wohnung war menschenleer. Um acht läutete endlich das Telefon. Ich stürzte mich darauf, es war Dorit. »Weißt du schon, daß du einen stinkreichen Freund hast?« fragte sie pietätlos, »heute ist sein Opa gestorben.«
»Woher weißt du das?« fragte ich gedehnt.
»Von Gero. Männer sind Klatschweiber. Der Nachbar vom alten Graber hat den Leichenwagen gesehen… Er ist ein Kollege von Gero… Na, wie ist es, werdet ihr in das
Viernheimer Haus ziehen und für Baulärm sorgen?« »Da fragst du mich zuviel«, sagte ich kurz angebunden. Ich
wollte die Leitung für Levin frei halten.
»Ich habe mir heute einen Seidenblazer gekauft«, sagte
Dorit, »rate mal in welcher Farbe! Rosa!«
Mir war nicht nach Schwätzen, ich entschuldigte mich und
legte auf. Gern wäre ich unter die Brause gegangen, ich war
schweißüberströmt. Aber genau in dem Moment, wenn das warme Wasser über mich lief, würde das Telefon klingeln. Inzwischen erwartete ich gar nicht mehr Levin, sondern die
Polizei, die mir seine Verhaftung mitteilte.
Um halb neun hörte ich endlich den Porsche. Ich rannte an
die Haustür, der Wagen hatte eine stattliche Beule am
Kotflügel. Levin nahm mehrere Plastiktüten vom Vordersitz,
reichte mir eine und sagte charmant: »Sperr das Maul und die
Tür zu! Alles bestens!«
Wir waren kaum in der Wohnung, als ich die Nerven verlor. Aber Levin lachte nur. »Du wirst gleich sehen, das Warten
war nicht vergeblich!« Er packte Sekt aus, meinen
Lieblingssalat, frische Shrimps, exotische Früchte und
knusprige Pasteten. »Hast du keinen Hunger?«
Mir war jeder Gedanke an Essen vergangen, aber bei diesem
Anblick regte
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