Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Apothekerin

Die Apothekerin

Titel: Die Apothekerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
Vom Netzwerk:
mußte an die Leute aus meinem Verwandten- und Bekanntenkreis denken, die sich einen schnellen Tod gewünscht hatten: tot umfallen, ohne Krankenhaus, Schläuche und Apparate. War Hermann Graber nicht mit diesem schmerzlosen Tod besser bedient, als wenn er monatelang leiden mußte?
    »Und Margot? Wenn sie etwas merkt?«
»Ach die! Keine Sorge, ihre Begabungen liegen nicht auf intellektuellem Gebiet. Sie weiß, daß er herzkrank ist, wenn sie die Leiche findet, wird sie schreien und dann den Arzt anrufen, wie sich das gehört.«
»Aber ihr Mann? Wird Dieter nicht zwei und zwei zusammenzählen, wenn dein Großvater in einem derart passenden Augenblick stirbt? Warum hat Margot eigentlich Angst vor ihm?«
»Sie hat Grund genug, sich zu fürchten. Sie hat ihn nicht nur mit seinem besten Freund, sondern auch mit seinem Bruder betrogen; das kriegt Dieter alles raus. - Aber dem ist es egal, woran der Opa stirbt, der will Geld, dann sind wir quitt.«
Für mich war es immer noch ein bloßes Gedankenexperiment, als wir gemeinsam die verschiedenen Giftröhrchen untersuchten. Levin schlug in einem medizinischen Handbuch nach, wenn ich nicht Bescheid wußte, und traf dann seine Wahl.
»Ob das Gift noch wirksam ist?« fragte er. »Es wäre vielleicht richtig, es vorher zu testen«, und sein Blick fiel auf Tamerlan.
Ich geriet etwas außer Kontrolle, aber er sagte sofort: »War doch nur ein Scherz.«
»Nach Präparation einer Kavität werde ich eine temporäre Füllung legen«, dozierte er.
Obgleich ich es wußte, fragte ich (denn ich liebte es, wenn Levin als Wissenschaftler auftrat): »Was ist eine Kavität?«
»Ein Defekt in der Zahnhartsubstanz«, sagte Levin und genoß es, daß seine zahlreichen Semester Zahnmedizin endlich zu etwas nutze waren.
Mein Blick fiel auf das wunderschöne Foto der großelterlichen Villa, das Levin in der Küche aufgehängt hatte. Mehr als seine geschickten Plädoyers überzeugte mich dieses stumme Bild: Dorthin gehörte ich, nicht in eine Mietwohnung ohne Balkon und Garten. Dorits neues Haus (viel teurer als geplant) würde da nicht mithalten können.
    »Nur eine Probefahrt«, sagte Levin, als wir an einem Donnerstagabend im Kabrio nach Viernheim fuhren, denn der Porsche fiel zu sehr auf.
    Hermann Graber pflegte sehr zeitig ins Bett zu gehen, dafür aber spät aufzustehen. Im Liegen sah er sich das ganze Fernsehprogramm an, da er schwerhörig war, mittels Kopfhörer. Das hatte den Vorteil, daß er andere Geräusche im Haus nicht wahrnahm, es sei denn, eine Bombe würde hochgehen. Vor Einbrechern hatte er keine Angst, denn Aktien und Geld befanden sich im Banktresor.
    Die Einrichtung des Hauses war von gediegener, tonnenschwerer Scheußlichkeit. Schmuddelige Samtportieren, geschnitzte Eichenschränke, schwarz gewordene Paneele. Der Alte vermißte wahrscheinlich weder Silberdöschen noch Porzellanfiguren seiner Frau, denn er machte sich nichts aus Staubfängern.
    Selbstverständlich besaß Levin einen Schlüssel. »Ich muß im Keller etwas löten«, erklärte er Margot, denn Hermann Graber besaß eine zwar altmodische, aber bestens ausgerüstete Werkstatt. Neugierig starrte sie auf das Autoradio, das sich Levin unter den Arm geklemmt hatte.
    Während ich mit Margot in der Küche eine Diät für den Opa festlegte, holte Levin den »Rosenbohrer« aus dem Auto. Er hatte sich dieses gebrauchte Handbohrgerät schon vor längerer Zeit gekauft.
    Damit huschte er die Treppe hinauf und nahm die Vollprothese von Hermann Graber aus dem Schälchen, denn er wußte, daß sein Großvater nur einmal in der Woche - am Samstag, wenn er auch sein Bad zu nehmen pflegte - das Gebiß mit einer Reinigungstablette ins Wasser legte. An Wochentagen wie heute wurde es nachts ungewässert in der Schale auf der Badezimmerheizung deponiert.
    Levin fräste in zwei Kunststoffzähne des Molarenbereichs mit seinem Spezialbohrer winzige Löcher, die jedoch groß genug waren, um je eine Giftpille aufzunehmen. Nach Einbettung dieser Dosis legte er einen provisorischen hauchdünnen Kavitverschluß darüber, der sich unter Einwirkung von Speichel auflösen würde.
    Nachdem das Werk vollbracht war, tat Levin die Prothese in die Kompottschale zurück, Bohrgerät und Radio verstaute er wieder im Wagen. Als er zu uns in die Küche kam, machte er einen erleichterten Eindruck.
    »Das Radio geht wieder«, sagte Levin zu Margot, »hast du von Dieter gehört?«
»Nix.«
»Er könnte also jeden Tag vor der Tür stehen?« fragte Levin.
»Dann gut’

Weitere Kostenlose Bücher