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Die Apothekerin

Die Apothekerin

Titel: Die Apothekerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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Levin wurde blaß. Aber vom Examen war nicht die Rede. Levin bekam Wertpapiere, die wahrscheinlich seinen Pflichtteil abdeckten. Die Villa und den Löwenanteil der Aktien erbte ich - Hella Moormann -, wenn ich Levin innerhalb eines halben Jahres ehelichte. Selbstverständlich konnte ich Erbschaft und Heirat ausschlagen, in einem solchen Fall ging das Vermögen an das Rote Kreuz.
    Levin brauchte einen Moment, um diese Botschaft richtig zu verstehen.
Als der Groschen gefallen war, sprang er auf und schrie: »Das sieht doch jeder, daß der Alte nicht mehr alle Tassen im Schrank hatte! Das ist doch der schiere Wahnsinn -eine fremde Frau soll das ganze Geld kriegen! Kann man ihn posthum entmündigen lassen?«
Mein bißchen neue Zuversicht und freudige Erregung war dahin. Mir ging es doch nicht um das Geld.
    »Entmündigen lassen…«, erwiderte der Notar gedehnt, »das wird immer wieder von unzufriedenen Angehörigen versucht, gelegentlich auch mit Erfolg. Im Falle Ihres Großvaters sehe ich keine Chancen, er war bis zuletzt im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte, wie man so schön sagt, und dafür gibt es viele Zeugen.«
    Levin fing sich schon wieder. »Es spielt keine so große Rolle«, sagte er mit mühsamer Beherrschung, »meine Verlobte und ich wollten sowieso bald heiraten.«
    »Nun, dann steht dem Happy-End ja nichts im Wege«, sagte der Notar voller Neid und lächelte mich schmierig an. Ich lächelte weder zurück, noch bestätigte ich Levins Aussage. Ich war tief verletzt.
6
    »Haben Sie gut geschlafen?« fragte ich Frau Hirte am nächsten Morgen, denn ihr Gesicht hatte einen müdeverschlagenen Ausdruck angenommen.
    Sie habe einen furchtbaren Alptraum gehabt, antwortete sie, vielleicht sei der Vollmond schuld.
»Was haben Sie denn geträumt?« fragte ich beklommen.
»Im Traum habe ich einen Polizisten erschossen.«
Bei der Vorstellung, daß die dürre Zimtziege mit einer Pistole auf einen Polizisten zielte, mußte ich lächeln. »Wir werden mal bei Freud nachlesen, was das zu bedeuten hat«, schlug ich vor.
Aber sie fragte nur: »Haben Sie nie solche Träume?«
Allzu heftig schüttelte ich den Kopf.
»Ich denke an die Sache mit Ihrem Mitschüler«, fuhr sie fort, »von so etwas kommt man doch sein Leben lang nicht mehr los.«
Da hatte sie allerdings recht.
Im Gegensatz zu mir hatte Frau Hirte schon mehrmals in einer Klinik gelegen. Bereits vor ein paar Jahren war sie am Darm operiert worden; sie behauptet steif und fest, der Krebs, sei damit endgültig besiegt. Der histologische Befund steht bei ihr allerdings noch aus, und ich denke, daß die Ärzte sie nicht belügen werden. Wenn man sie so sieht, knochig, blaß und appetitlos, dann scheint auch einem Laien die Prognose düster.
»Wo bin ich gestern stehengeblieben?« fragte ich, um sie zu testen.
Sie wurde verlegen. »Ich glaube, bei einem Diätrezept für den Großvater«, sagte sie. »Vielleicht bin ich dabei eingeschlafen. Seit ich eine Mikrowelle besitze, habe ich das Kochen endgültig aufgegeben…«
»Na fein«, sagte ich, »der Großvater starb.«
    Hermann Grabers Tod ließ mich an meinen eigenen Großvater denken. Meinen Beruf hatte ich wahrscheinlich gewählt, um ihm nachzueifern. Sonst wäre ich wohl Sozialarbeiterin, Psychologin oder Ärztin geworden, Kindergärtnerin oder Krankenschwester - gut, daß es nicht so kam, ich selbst wäre hoffnungslos zu kurz gekommen. Als Apothekerin hat man zwar auch mit leidenden Menschen zu tun, aber viele verlassen den Laden, ohne jedesmal ihren seelischen Mülleimer auszuschütten. Mein Großvater war ein gutaussehender, weißhaariger Patriarch, der allgemein geachtet und geschätzt wurde. Er hatte es wie Hermann Graber zu einem Vermögen gebracht, doch anders als Levin hing ich an meinem Großvater und dachte jedesmal liebevoll an ihn, wenn ich mir Opas Sessel mit Tamerlan teilte. Wenn einer auf den Gedanken gekommen wäre, meinen Großvater umzubringen, hätte ich diesen Menschen mein Leben lang gehaßt.
    Nachdem Levin in so garstiger Weise auf das Testament reagiert hatte, kühlten sich meine Empfindungen für ihn ab. Auf der Heimfahrt vom Notar fragte er: »Was ist? Warum bist du so einsilbig? Du hast doch Grund zur Freude: Als Außenseiterin hast du das Spiel gewonnen.«
    Weder hielt ich unsere Tat für ein Spiel, noch fühlte ich mich als Siegerin. ›Mein lieber Schwan‹, dachte ich, ›so leicht kriegst du mich nicht.‹
    Natürlich fragte er kurz darauf, wann die Hochzeit stattfinden sollte.
»Weiß

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