Die Aquitaine-Verschwoerung
Doch es musste eine andere Möglichkeit geben, eine Möglichkeit, die er auch schon vor hundert Jahren gewählt hatte, damals im Dschungel mit einem anderen Gegner. Er sah sich um; vielleicht dreiÃig Meter zu seiner Rechten war ein Stapel alter Eisenbahnschwellen, einige zerbrochen , sie bildeten eine niedrige Wand. Eine Wand.
Es war riskant. Wenn Leifhelms Chauffeur die erste Müllhalde inzwischen überprüft hatte und jetzt aus welcher Richtung auch immer auf die zweite zuging, musste er Joel sofort sehen. Der Mann war aus zwei Gründen zu dem Zug geschickt worden, einmal, weil er den Gesuchten vom Sehen kannte, und zum anderen, weil der, den sie suchten, ihn entehrt hatte. Joels Leiche würde seine Ehre wiederherstellen. Ein solcher Mann war vermutlich ein Experte im Umgang mit Waffenâ was der, den sie jagten, nicht war. Doch warum sich den Kopf zerbrechen! Seit Genf war alles riskant, ein Spiel gegen den Tod.
Er packte die Leiche des Deutschen unter den Achseln und zerrte sie schwer atmend hinter sich her.
Hinter den Eisenbahnschwellen lieà er den Toten fallen. Und ohne nachzudenken, tat Converse das, was er schon seit einer Ewigkeit hatte tun wollen. Im Schutz der Schwellen riss er seine Jacke und sein Hemd herunter und wälzte sich wie ein Hund auf dem Boden, um sich von den Insekten zu befreien. Dann kroch er zwischen die Eisenbahnschwellen und fand zwischen zwei Stapeln ein Versteck.
» Werner, wo sind Sie?«
Leifhelms Chauffeur tauchte auf. Vorsichtig, die Waffe im Anschlag, erschien er hinter dem zweiten Müllhaufen. Ein Soldat, der den Streifendienst gewöhnt war. Converse überlegte, wie viel besser es doch für die Welt wäre, wenn er selbst ein Meisterschütze wäre. Aber das war er nicht. Bei der Pilotenausbildung hatte er nur den üblichen Kurs für Handfeuerwaffen gemacht. Der zweite Soldat von Aquitania musste also viel näher herangelockt werden.
» Werner! Antworten Sie doch!«
Schweigen.
Der Chauffeur war beunruhigt; er ging ein paar Schritte zurück, duckte sich jetzt, suchte den Müllhaufen ab und drehte immer wieder den Kopf. Joel wusste, was er tun musste; er hatte es schon einmal getan. Er musste die Aufmerksamkeit des Killers ablenken, ihn näher heranlocken und sich dann entfernen.
» Au!« Converse gab ein Stöhnen von sich. Und dann, ganz deutlich, in englischer Sprache: » Oh, my God!«
Und dann huschte er geduckt ans Ende der künstlichen Mauer aus Holzschwellen. Er spähte um die Barriere herum, hielt dabei den Kopf aber in Deckung.
» Werner, wo istâ¦!« Der Deutsche stand jetzt aufrecht da und lieà seinen Blick schweifen. Plötzlich fing er zu laufen an, die Waffe ausgestreckt und scheinbar erleichtert, dass sein Opfer ihm selbst den Weg gewiesen hatte.
Der Chauffeur sprang über die Schwellen, die Waffe schussbereit. Dann feuerte er auf die Leiche, die im Dunkeln lag, und stieà dabei einen Schrei befriedigter Rachsucht aus.
Joel richtete sich auf, zielte mit seiner Automatik und drückte einmal ab. Der Deutsche wirbelte herum, und ein Blutfaden rann über seine Brust.
» Manche gewinnen«, flüsterte Converse und richtete sich auf. Er erinnerte sich an den Mann im Zug nach Emmerich.
Das Grün hatte sich in einen Sumpf verwandelt. Converse hielt seine Kleider in den Armen. Er war über die Gleise gestolpert, dann durch das wilde Gras in die schlammige Feuchtigkeit. Es war Wasser, und das war alles, was er brauchte. Wasser würde ihn säubern, ihm eine Fluchtmöglichkeit bieten und zugleich Linderungâ auch das waren Lektionen, die er vor Jahren gelernt hatte. Er saà nackt auf einem Landvorsprung, nahm den hinderlichen Geldgurt ab und fragte sich, ob die Banknoten wohl nass geworden waren. Doch so sehr, dass er nachgesehen hätte, interessierte ihn das nicht.
Was ihn hingegen interessierte, waren die Sachen, die er den beiden Männern abgenommen hatte. Er war nicht sicher, was Wert hatte und was nicht. Das Geld war belanglos, mit Ausnahme der kleinen Scheine. Dann fand er ein gefährlich aussehendes Messer, dessen lange Klinge vorschnappte, wenn man einen Knopf am Griff drückte. Er behielt es. Ebenso ein billiges Gasfeuerzeug, einen Kamm und zwei Pastillen gegen schlechten Atem. Der Rest waren persönliche Habseligkeitenâ Schlüssel, ein goldenes Amulett in Form eines vierblättrigen Klees , Fotografien in den Brieftaschenâ
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