Die Arbeit der Nacht
durch die Finsternis hinauf zum Gasthaus marschieren und den Löhnebergers, die noch späte Gäste bewirteten, eine Flasche abkaufen. Der Geldschein, den er aus der Tasche zog, ließ Jonas große Augen machen und seine Eltern leise aufstöhnen.
Es sei doch nichts dabei, erklärten sie lebhaft. Oben vor dem Gasthaus brenne die Laterne. Wirklich finster sei es nur nahe der Kegelbahn. Wenn er nicht gehe, sei er ein Hasenfuß. Er solle sich nicht anstellen. Ruckzuck sei alles vorbei.
Nein, sagte er.
Onkel Reinhard trat näher und wedelte ihm mit dem Schein vor der Nase herum. Sie standen unten an der Tür. Jonas blickte auf den Weg zur Kegelbahn. Er musterte einen Erwachsenen nach dem anderen.
Nein, sagte er.
Und dabei blieb es, obwohl seine Mutter ihm hinter Onkel Reinhards Rücken Gesten machte und wütende Grimassen schnitt. Onkel Reinhard hatte ihm lachend auf die Schulter geschlagen und gesagt, er werde schon noch merken, daß es keine Gespenster gebe. Seine Eltern hatten sich abgewandt und zwei Tage nur sehr einsilbig mit ihm gesprochen.
»Täusch dich nicht«, sagte Jonas, während er vergeblich versuchte, in der Dunkelheit wenigstens Umrisse zu erkennen.
Ruckartig wandte er den Kopf. Er wurde die Vision nicht los, daß einmal, wenn er so nach hinten sah, das Wolfsvieh dastehen würde. Es würde dasein, und er würde gewußt haben, daß es kommen würde.
Er ging nach unten. Das Gewehr nahm er nicht mit. Er schloß die Haustür auf und trat hinaus auf die verwitterten Steinfliesen, mit denen der Vorplatz ausgelegt war.
Es war kalt. Und vollkommen dunkel. Kein Wind blies. Kein Zirpen von Grillen erklang. Das einzige Geräusch stammte von Steinchen, die unter seinen Schuhen über die Fliesen schleiften. Er konnte sich nicht daran gewöhnen, auf lebendige Laute verzichten zu müssen. Wespen, Bienen, Hummeln, Fliegen waren lästige Geschöpfe, ihr Summen, ihre Aufdringlichkeit hatte er tausendfach verflucht. Das Gebell von Hunden war ihm mitunter als Teufelsgeheul erschienen, und sogar unter den Vogelstimmen gab es einige, deren Penetranz die Lieblichkeit überstieg. Aber der gnadenlosen Stille, die hier herrschte, hätte er das Sirren von Moskitos vorgezogen. Und vermutlich sogar das Gebrüll eines frei umherstreifenden Löwen.
Er wußte, er mußte jetzt gehen.
»Nun ja, so ist es eben.«
Er tat so, als halte er etwas in der Hand, was er vor fremden Blicken abschirmen wolle. Währenddessen unternahm er in Gedanken den bevorstehenden Ausflug. Stellte sich vor, wie er das Gartentor öffnete, an der Kegelbahn vorbeiging und schließlich die Terrasse des Gasthauses betrat. Dort öffnete er die Tür, knipste Licht an, holte zwei Flaschen Bier aus dem Schankraum, schaltete wieder aus, ging auf demselben Weg zurück.
»Wirklich schön geworden«, sagte er halblaut und kratzte mit einem Finger in der hohlen Hand.
In dreißig Sekunden ging er los. In längstens fünf Minuten war er zurück, war es überstanden. In fünf Minuten hatte er zwei Flaschen Bier in der Hand und zudem einen Beweis geführt. Die fünf Minuten waren zu ertragen, fünf Minuten waren gar nichts. Er konnte währenddessen die Sekunden herunterzählen. Und an etwas anderes denken.
Seine Beine waren taub. Bewegungslos stand er auf den Fliesen, die offene Haustür hinter sich. Minuten vergingen.
Es hatte also nicht gestimmt. Als er gedacht hatte, in fünf Minuten würde es vorbei sein, hatte er sich getäuscht. Ihm war bestimmt gewesen, erst einige Minuten später zu gehen. Der Zeitpunkt, den er für das Ende seiner Qual gehalten hatte, war in Wahrheit ihr Beginn.
Er konzentrierte sich darauf, nichts zu denken und loszugehen.
Er dachte nichts, dachte nichts und dachte nichts und ging dann los.
Er stieß gegen das Gartentor. Öffnete es. Die Kegelbahn, Mitte der Dunkelheit. Er tastete sich an den Brettern entlang, die sie begrenzten.
Der Kies, der unter seinen Schuhen knirschte, zeigte ihm an, daß er den Parkplatz betreten hatte. Er glaubte die Terrasse zu erkennen. Er hastete weiter. Ich werde dich töten, dachte er.
Das Glöckchen bimmelte. Er glaubte, es nicht auszuhalten. Seine Hand traf den Lichtschalter. Er kniff die Augen zusammen. Öffnete sie vorsichtig. Blickte sich um. Nicht denken. Weiter.
»Guten Abend! Ich komme wegen der Getränke!«
Unter rauhem Gelächter schaltete er alle Lampen ein. Er nahm zwei Flaschen Bier. Die Lichter drehte er nicht wieder ab. Er ging über die Terrasse hinunter zum Parkplatz. Der Lichtschein aus
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